Winterwanderung vom Ipf nach Neresheim

Der Ipf ist ein Zeugenberg der Schwäbischen Alb. 668 Meter erhebt er sich über den Meeresspiegel und ragt damit 200 Meter über das Land der Voralb.

Die Befestigungen des Gipfelplateaus reichen zurück bis in die Spätbronzezeit, ins 12. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung. Der Höhepunkt dieser Kultur scheint sieben Jahrhunderte später gelegen zu haben. Besiedelt war der Ort aber wahrscheinlich schon seit der Jungsteinzeit.

Wir steigen im treibenden Schnee den dick verschneiten Hang hoch. So war das hier! So sind wir selbst! Wo sind die hin, die hier lebten? Sie sind in uns. Wer aber wir sind, wissen wir nicht. Wir wissen nur, was wir tun. Wir wandern.

Schneetreiben.
Die Stoppeln im Feld
leuchten.

Schnee knirscht unter den Schuhen. Der Wind ist strähnig und streng. Im gleichmäßigen Rhythmus des Gehens bin ich ganz bei mir selbst, bei meinem Atem, beim Puls meines Blutes und spüre doch einen Einklang mit den Gefährten und all den anderen, die hier schon gegangen sind, durch die Zeiten: das keltische Kind, die alemannische Frau, Steinzeitjäger durch die Jahrhunderte.

Und in diesem Gehen ist auch der Nebel ganz nah, der Schnee, der Himmel, die Festigkeit dieses Bodens, der trägt, die Kräfte des Lebens, die sich in uns ein weiteres Mal vergegenständlicht haben, fest geworden sind in diesen neuen Gesichtern.

Von irgendwo aus der Vorzeit ist der Strom der Gene durch all diese Schatten gegangen und fließt nun durch uns. Beim Gehen wird die Gemeinschaft sehr groß.

Landstraße bei Neresheim
Zaun bei Neresheim

Vom Ipf wandern wir durch verschneites Land zur Kapelle Maria Buch. Während der Napoleonischen Kriege wurde hier eine berühmte Wallfahrtskirche eingeäschert, zu der die Menschen aus der Gegend strömten, dem Härtsfeld und dem Nördlinger Ries. Hier war ein Platz der Wunder. Die Kapelle, in die wir nun treten, ist eine bescheidene Nachfolgerin. Wir stehen eine Zeit in der Stille.

Maria Buch –
draußen liegt Schnee. Ein Schatten
läutet die Glocke.

Die Abtei Neresheim, ein Benediktinerkloster, gegründet im Jahre 1095, erreichen wir ganz in der Nähe. Balthasar Neumann schuf die jetzige Kirche. Sie gilt als eine der bedeutendsten sakralen Bauten des Spätbarocks.

Ich mag diesen Stil eigentlich nicht. Aber das Weiß und dieser lichtdurchflutete Raum …

Ein Blick in die Höhe: Wie es in den Himmel hinein immer bunter und lebhafter wird, als begänne das Leben erst dort! Was wir sein wollen, sagen uns Träume. Wir sind gefangen im Schwerkraftschacht.

Am Kloster –
durch Schnee diese schmutzigen
Spuren.

 

Aus: Volker Friebel (2015): Im ausgewilderten Licht. Orte und Wanderungen. Edition Blaue Felder, Tübingen.

 

 

 


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