Zitate 2

Mit Kommentaren von Volker Friebel

 

„Wenn es einen spirituellen Weg gäbe, wäre er nur einen halben Zentimeter lang. Er würde lediglich darin bestehen, sich in den Rhythmus der eigenen inneren Natur und Gegenwart einzustimmen.“ (John O’Donohue 1997.)

„Natur“ meint einerseits den Teil der Welt, der unabhängig vom Menschen und seiner Technik ist. Die andere Bedeutung ist das Wesen eines Dings, auch eines Menschen. „Er handelte gemäß seiner Natur“, „es liegt in der Natur dieser Sache“. Die „Weise“ oder die „Art“ könnte man auch sagen.

Stattdessen „Natur“ zu verwenden, beheimatet allerdings mehr, es legt auch mehr fest. Denn seine Art und Weise könnte einer eher ändern als seine Natur. Die Verwendung dieses Wortes bringt etwas Biologisches, etwas Angeborenes, Unveränderliches hinein.

Was ist die Natur des Menschen? Was ist das, was O’Donohue als die Grundlage eines spirituellen Weges bezeichnet, wenn eine Einstimmung auf es gelingt? Es muss etwas Selbstverständliches sein, der Weg wäre sonst länger als dieser halbe Zentimeter. Es muss etwas Seltenes sein, das unser bloßes Sein, unseren Atem, das Pochen unseres Herzens verwandelt in das, was die Weisen, die Buddhas, die Götter zu zeigen versuchen.

Zitat: John O’Donohue (1997): Anam Cara. Das Buch der keltischen Weisheit. Dtv, München, Seite 107.


Wissen kann schlimmer als Unwissen sein – weil Wissen immer nur ein Zu-wissen-glauben ist. Weil es damit verhärtet und unfrei für die Wirklichkeit macht.

„Nur was wir glauben, wissen wir gewiß.“ (Wilhelm Busch: Aphorismen und Reime.)

Wir wissen aber niemals, was ist. Wir können froh sein, wenn wir hin und wieder wissen, was wir glauben.


Unser nicht Bewusstes ist viel älter und klüger als unser Bewusstes. Es hatte sich in Jahrmillionen entwickelt. Unser Bewusstes ist noch sehr jung und in sich unvollkommen, es ist noch ein Kind. Wir lieben das Kind und halten es für etwas Besonderes – und vielleicht ist es das auch.

Elektronische Gehirne machen uns das Verhältnis zwischen Bewusstem und nicht Bewusstem deutlicher. „Computern fällt es leicht, zu tun, was man in der Schule lernt. Schwierigkeiten haben sie jedoch, zu lernen, was Kinder lernen, bevor sie in die Schule kommen: eine auf dem Kopf stehende Tasse als Tasse zu identifizieren, sich in einem Garten zurechtzufinden, ein Gesicht wiederzuerkennen, zu sehen.“ So drückt Tor Nörretranders diese Merkwürdigkeit in seinem Buch über das Bewusstsein aus.

Zitat: Tor Nörretranders (1993): Der Anfang der Unendlichkeit. Essay über den Himmel. Rowohlt Taschenbuch, Reinbek (dänisches Original 1987), Seite 264.


„Das Gegenteil einer richtigen Behauptung ist eine falsche Behauptung, aber das Gegenteil einer tiefen Wahrheit kann wiederum eine tiefe Wahrheit sein“ (Niels Bohr).

Was sind Behauptungen in diesem Sinne? Tatsachen-Behauptungen offenbar.

Wenn ich einen blauen Mantel sehe (Tatsache) und behaupte: „Dieser Mantel ist rot!“, dann stelle ich eine falsche Behauptung auf. Wenn ich einen blauen Mantel sehe (immer noch Tatsache) und behaupte: „Dieser Mantel ist nicht blau!“, ist das, logisch betrachtet, ebenfalls eine falsche Behauptung.

Meine Reaktion, die eines lebenden Menschen, ist aber eine andere als auf die erste Behauptung, nämlich Verwirrung. Der offensichtliche Widerspruch zwischen dem, was ich sehe und dem, was behauptet wird, bringt mich in diesem Fall dazu, darüber nachzudenken, unter welcher Perspektive die Aussage denn wahr oder zumindest sinnvoll sein könnte. Philosophisch neige ich dazu, sie als ein Gesprächsangebot zu akzeptieren.

Niels Bohr ist zitiert nach: Herbert Pietschmann (1992): Exakte Wissenschaft und Bewußtsein. In: Giselher Guttmann & Gerhard Langer (Hg) (1992): Das Bewußtsein. Springer-Verlag, Wien, 49-63 (dort auf Seite 53).


„Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, wie die Regierungen Kriege machen; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit.“ (Berthold Brecht)

Polit-Journalisten allerdings können so schnell schreiben. Sie schreiben den Politikern sogar meist noch voraus.


„Der Weg zum Glück besteht darin, sich um nichts zu sorgen, was sich unserem Einfluss entzieht.“ (Epiktet, Lebenszeit etwa die Jahre 50-138 nach unserer Zeitrechnung, griechischer Philosoph, Sklave, nach Neros Tod freigelassen; gründete eine Philosophenschule der Stoa.)

Aber Selbstbescheidung hat bei uns keinen guten Leumund. Für die Menschheit ist das wahrscheinlich gut, für den einzelnen Menschen aber schlecht. Und: Wollen wir nicht vor allem Aufregung? Und erhoffen uns das Glück gerade von ihr?


Ich sitze am offenen Fenster unseres Hotels und lausche in den Smog, der sich langsam erwärmt.

In der Morgendämmerung hat Musik begonnen. Vom Tempel, der an einen Hotelkomplex lehnt, flutet sie über die Millionenstadt, und immer noch strömen Menschen hinein, vor der Arbeit auf dem Markt, in den Büros, in den Handwerksbetrieben, zu treibenden Rhythmen.

Auf dem Tisch im Zimmer liegt ein aufgeschlagenes Buch, aus dem Krishna zu sprechen beginnt: „Übe dich im Handeln, aber begehre nicht dessen Früchte. Lass weder die Frucht deinen Ansporn zum Handeln sein, noch neige dich zur Untätigkeit. Sei voller Hingabe, widme dich dem Werk, löse jegliche selbstsüchtige Anhaftung, oh Dhananjaya, und sei der Gleiche in Erfolg und Misserfolg. Diese Gelassenheit wird Yoga der Hingabe genannt. Diese Hingabe, oh Dhananjaya, ist weit bedeutender als das Werk.“

Das Werk eines Gottes nennen wir „Welt“. Wie viele Götter kennt diese Erde? So viele wie Menschen.

Heißt „Hingabe“, dem Werk seines Gottes hier zu begegnen? Den Menschen, den Kühen, den Steinen, den Flüssen, den Bäumen?

Heißt es, das andere sprechen zu lassen aus sich, durch sich, wie auch der Himmel durch alles geht, was atmet?

Noch immer schau ich hinaus auf die Stadt. Der Raum um den Tempel ist leer geworden. Ein Auto dröhnt vorbei, Richtung Markt.

Krishna-Zitat nach Undine Weltsch & Jens Grünewald (2013): Mahabharata –Buch 06 (die Gesänge 25 bis 42 bilden das Bhagavad Gita). Im Netz, nur als pdf-Datei.


„Auch das kleinste Ding hat seine Wurzel in der Unendlichkeit, ist also nicht völlig zu ergründen.“ (Wilhelm Busch, 1832-1908.)

Ergründen können wir gar nichts. Wir können nur Relationen vermessen zwischen den unergründlichen Dingen und uns selbst.


„Wir müssen wieder gute Nachbarn der nächsten Dinge werden und nicht so verächtlich wie bisher über sie hinweg nach Wolken und Nachtunholden hinblicken.“ (Friedrich Nietzsche (1880): Der Wanderer und sein Schatten, aus dem 16. Stück.)

Ich schätze mal, dass 90 % allen Ärgers von Dingen kommt, die einen eigentlich nichts weiter angehen müssten. Und 10 % des Glücks. Wie wichtig wir diese 10 % nehmen!


Zufällig las ich in einem Buch die Sentenz „Veritas filia temporis“ und fand, als ich nachschlug, das wörtlich wie folgt aus dem Lateinischen ins Deutsche übersetzt: Die Wahrheit (ist) eine Tochter der Zeit. In der Bedeutung: Mit der Zeit kommt die Wahrheit ans Licht.

Aber mir kam eine andere Bedeutung in den Sinn, die ich interessanter finde: Jede Zeit schafft sich ihre eigene Wahrheit, gebiert ihre eigene Wahrheit. Oder: Die Wahrheit wechselt mit der Zeit.


„Da es im freiheitlichen Rechtsstaat keine verbindliche Moral gebe, könne die Berufung auf individuelle Moral- und Gerechtigkeitsvorstellungen oder politische Opportunitätserwägungen die Abweichung vom Recht nicht rechtfertigen.“ So fasst die FAZ am 30.09.2015 Vorstellungen des Bundesverfassungsrichters Peter M. Huber zusammen.

Der Rechtsstaat (in der chinesischen Geschichte als Legalismus bekannt und berüchtigt) wird hier klarsichtig als Versuch benannt, die Moral zu ersetzen. Das dauert schon lange an und liegt ganz auf der Linie anderer Angriffe des Staates auf den Menschen und die Menschlichkeit.


„Die unumschränkteste Gewalt ist eben die, der man sich nicht bewusst ist – die Abhängigsten sind jene, die aus eigenem Willensimpuls zu handeln glauben, denen selbst das Wissen um ihre Abhängigkeit wegtyrannisiert wurde.“ Prentice Mulford (1834-1891)

Wobei wir das Nicht-bewusst-sein und die Abhängigkeit kaum je bei uns, sehr hellsichtig aber bei anderen Menschen erkennen. „Wegtyrannisiert“ ist allerdings ein schlecht gewählter Begriff. Einflussreicher als Tyrannen scheinen mir Bequemlichkeiten und vage Ängste.


Rüdiger Safranski schreibt in seinem Buch „Hölderlin“ (2019): „Schillers Gedicht [Die Götter Griechenlands] hat Hölderlin die Problematik der entzauberten Welt vor Augen geführt und ihn bei seinen Versuchen der Wiederbelebung des mythischen Bewusstseins und der Rückgewinnung des Göttlichen inspiriert. Hölderlin wird durch Schiller und über ihn hinaus eine lyrische Sprache suchen für die mythische Erfahrung, voll Trauer darüber, dass wir die Alltäglichkeit dieser Erfahrung verloren haben. Ihm wird bewusst, dass jene Dimension verschwindet, worin das Wirkliche dem Blick und Erleben erst richtig aufgehen kann. Deshalb sieht man die Erde nicht mehr, hört nicht mehr den Vogellaut, und die Sprache zwischen den Menschen ist verdorrt.“

Das Problem hat sich seither noch verschärft. Und deshalb wird die ‚Rettung‘ der Menschenwelt etwa vor dem Klimawandel und anderen Umweltproblemen misslingen, selbst wenn sie technisch betrachtet gelingen sollte. Weil die wichtigste Dimension dabei fehlt.

Dabei gibt es von vielen Menschen starke Bemühungen. Achtsamkeit gehört dazu, die steigende Wertschätzung der Natur, die Förderung von Langsamkeit und Minderung der Reizüberflutung. Wieder gute Nachbarn der nächsten Dinge werden, hat Nietzsche das in Worte gefasst. Dichtung könnte dazu einiges tun. Es gibt sie auch, in den Augenblickstexten des Haiku etwa. Aber sie wird nicht gehört.

Auch wo den Menschen bewusst wird, dass sie selbst das Problem sind, bleibt es noch bei einer technischen Veränderung: Mal spazieren, das Auto elektrifizieren, bewusster kaufen. Das reicht alles nicht. Keine technische Anpassung reicht.

Eine Rückbesinnung auf die alten Götter, wie Hölderlin es versuchte, kann es nicht sein, meine ich, auch keine Proklamation neuer Götter. Ein neues Verhältnis zur Natur, der äußeren und der inneren – überhaupt erst spüren, dass es das gibt, die eigene Natur, dass es den Baum, der im Wald steht und wächst, tatsächlich gibt, nicht bloß als Nutzobjekt, einfach nur so, ohne uns – gibt für sich selbst …


„Glaube mir, Du wirst mehr in Wäldern finden, als in Büchern. Bäume und Tiere werden Dich lehren, was kein Lehrmeister Dir zu hören gibt.“ (Bernhard von Clairvaux, 1090-1153, bedeutendster Mönch der Zisterzienser, eines Reformordens, der auch nahe diesem Waldtor in Bebenhausen um das Jahr 1190 ein Kloster übernahm.)

Diesen Satz hat wohl ein Förster vor langer Zeit an das Waldtor setzen lassen. Ich ging schon oft an ihm vorbei.

Wer einmal damit angefangen hat, die Natur beherrschen zu wollen, hat damit sein Verhältnis zu ihr auf immer verändert. Ins Paradies der Unschuld kommt er nie mehr zurück.

Doch technische Mittel werden für einen besseren Umgang mit der Natur nicht genügen. Weil das fehlt, das jede Technik erst zu einem Erfolg führen kann, der kein zwiespältiger ist, der die Welt nicht noch weiter zerstört. Was aber fehlt, das weiß eigentlich keiner. Ich auch nicht.


Zitate: John O’Donohue • Wilhelm Busch • Tor Nörretranders • Niels Bohr • Berthold Brecht • Epiktet • Bhagavad Gita • Friedrich Nietzsche • Peter M. Huber • Prentice Mulford • Bernhard von Clairvaux


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