Volker Friebel
Bedeckt, Höchsttemperatur 25 Grad, ein paar Regentropfen.
Nach einem frühen Frühstück in Hoi An bringt uns ein Bus zum Flughafen Da Nang. Wir wollen nach Hanoi.
Morgenstern.
Aus dem Horizont löst sich
ein Vogel.
Auf dem Flugplatz
überfällt mich der Himmel:
Lautsprecherdurchsage.
Hanoi, im Jahre 1010 nach unserer Zeitrechnung gegründet, ist die Hauptstadt Vietnams und hat etwa 8 Millionen Bewohner. Funde auf dem Stadtgebiet datieren die Besiedlung bis in das siebte Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurück. Hanoi war mehrmals Hauptstadt vietnamesischer Reiche. Im Jahre 1873 wurde es von den Franzosen erobert und war von 1883 bis 1945 Verwaltungszentrum der Kolonie Französisch-Indochina. Am 2. September 1945 rief Ho Chi Minh hier die Demokratische Republik Vietnam aus: Hanoi wurde wieder einmal Hauptstadt – und seit der Wiedervereinigung im Jahre 1976 nicht nur von Nord-, sondern von ganz Vietnam.
Elektroautos fahren uns durch die Altstadt. Dann geht es zum Literaturtempel und ins „Hilton“-Gefängnis. Überall ist sehr viel los. Zum vietnamesischen Neujahr haben die Menschen einige Tage frei – und nutzen sie. Auf einer Insel im Hoan-Kiem-See besuchen wir einen weiteren Literaturtempel und einen Tempel für Ärzte.
Literaturtempel.
Ein Kohlweißling fliegt schnurstracks
vorbei.
Das Hoa-Lo-Gefängnis wurde im Jahre 1904 von den französischen Kolonialherren erbaut, als Haftanstalt für vietnamesische Freiheitskämpfer. Während des Vietnamkriegs saßen hier gefangene US-Amerikaner ein. Von ihnen stammt die ironische Bezeichnung Hanoi Hilton. Dem ausgestellten Werbematerial ihrer Wächter zufolge, ging es den GIs hier gut. Sie selbst werden anders darüber gedacht haben. Und die Angehörigen der Opfer der von ihnen durchgeführten Bombardierungen haben vermutlich nochmals andere Gedanken dazu.
Politgefängnis.
Enkel der Täter und Opfer
beäugen sich.
Um den Tempel schwappt ein Strom der Banalitäten. Wir halten manche fest, mit der Kamera. Vor dem Tempel baumeln Luftwurzeln, duftet Räucherwerk. Drinnen zählt eine Frau ihr Geld ganz genau ab. Dann wirft sie es in den Opferkasten. Zwischen Früchte sind Geldscheine geklemmt. Alle Bitte ist für die Kinder.
Maske der Ahnen, Maske des Buddhas, Maske des Kapitalismus, Maske des Kommunismus …
Aber da ist auch ein Lächeln, das sich urplötzlich zeigen kann, oder der Zorn oder das, was fortwährend tief in den Menschen einfach entsteht, ohne Ahnen, ohne Buddha, ohne Kommunismus, ohne Kapitalismus.