Volker Friebel
Punta Arenas hat etwa 120.000 Einwohner, es ist die größte chilenische Stadt im südlichen Patagonien sowie Hauptstadt der Región de Magallanes y de la Antártica Chilena. Die Stadt liegt am nördlichen Ufer einer Meerenge, der Magellan-Straße, und gilt als südlichste Großstadt der Welt. Mit +6 Grad Celsius Durchschnittstemperatur liegt sie noch in der gemäßigten Zone. Es ist kühl hier – außerdem windig und regnerisch.
Die Bedeutung von Punta Arenas liegt im Handel, ermöglicht durch ihre Lage an der Magellan-Straße, die den atlantischen mit dem pazifischen Ozean verbindet. Im Norden der Meerenge liegt das südamerikanische Festland, im Süden bis zur Spitze des Kontinents mit dem Kap Hoorn ein Gewirr von Inseln, als größte die Große Feuerland-Insel.
Im Jahre 1520 fand Ferdinand Magellan, ein Portugiese, im Auftrag der Spanischen Krone auf der geschichtlich ersten Weltumsegelung diese Abkürzung durch das zerfasernde Ende von Südamerika. Das Land an der Nordküste der Meerenge nannte er „Patagonien“, das Land südlich „Feuerland“, da dort nachts viele Feuer beobachtet wurden.
Gegründet erst im Jahre 1848, lange nach der Durchfahrt des Magellan, war Punta Arenas erst Strafkolonie, dann Freihafen. Heute leben die Nachkommen vieler Völker hier: Portugiesen, Engländer, Kroaten, Russen, Deutsche … Die Vielfalt der Kulturen zeigt ein Gang durch den Friedhof. Offensichtlich war die Stadt früher reicher als heute (Handel mit Schafwolle; Schafbarone bestimmten das Bild) und es wurde großen Wert auf Repräsentation noch im Grab gelegt.
Indigene gibt es nicht mehr, sie wurden am südlichen Ende von Chile und Argentinien fast völlig ausgerottet. Das Museum der Salesianer, ein katholischer Orden, zeigt, was von ihrer Geschichte blieb. Die Missionierung mutet schauderhaft an – aber nur die Missionierten haben überlebt. Heute sind sie in der Gesamtbevölkerung aufgegangen. Gewürdigt werden die Indigenen kaum, die Auslöschung ihrer Kultur wird wenig thematisiert.
Im Schiffsmuseum Museo Nao Victoria liegen Nachbauten historischer Segelschiffe, vorneweg eben der Nao Victoria, einem der fünf Schiffe, mit denen Ferdinand Magellan am 20. September 1519 seine Weltumsegelung begann und das einzige, das nach fast drei Jahren zurückkehrte – ohne ihn, der auf den Philippinen beim Versuch der Eroberung und Christianisierung einer kleinen Insel getötet worden war, und mit nur 18 von den insgesamt 265 Männern, die in Sevilla abgelegt hatten. Das Schiff sank acht Jahre später auf einer Reise nach Hispaniola, das sich heute Haiti und die Dominikanische Republik teilen.
Auf einem verfallenen Landungssteg versammeln sich Kormorane. Ein Kriegsschiff, das auf der Magellanstraße vorüberzieht, kümmert sie nicht. So wenig wie sie das Geschwader des Magellan gekümmert haben dürfte. Viel wichtiger sind die vielen Freunde ringsum. Oder sind es doch eher Konkurrenten? Da stürzt sich einer ins graue Nass. Hat er einen Fisch? Nein. Am Strand tappen Möwen.
Alle gehen ihren Geschäften nach. Nur wir haben keine. Außer etwa, den Himmel zu betrachten, das Meer und die Versuche der Menschen, sich selbst hier einen Platz zu schaffen, am Ende der Welt.
Wir müssen an die Indigenen denken. Sie haben hierher gehört.
Im Hafenviertel finden wir einen Hindu-Tempel. Und eine Tango-Bar.
Am Ende der Welt
ein Kriegsschiff. Der Kormoran
wird zum Jet.
Ein Straßenköter
am Ende der Welt. Das Tango-Lokal:
geschlossen.
Gegen Mittag fahren wir weiter. Unser Reisebus verlässt die Stadt und rollt die Meerenge entlang in die Einsamkeit. Ein Stück geht es landein, aber bald treffen wir wieder auf das Wasser der Magellanstraße.
An einer Estancia, San Gregorio, halten wir, vertreten uns die Füße. Holzhäuser. Eingeschlagene Fensterscheiben. Alles wirkt verlassen. Angeblich werden die Gebäude gelegentlich für die Schafschur genutzt.
Am Strand sind zwei Schiffe aufgelaufen und verrotten. Ein Teefrachter strandete im Jahre 1896, ein Dampfschiff 1932. Welle um Welle brandet an. Wir stehen und schweigen.
Ende der Welt.
Durch Rippen des gestrandeten Schiffs
tönt das Meer.
Und dann, 170 Kilometer hinter Punta Arenas, kommt die engste Stelle der Wasserstraße. Hier läuft die Fähre nach Feuerland aus. Gerade wird sie beladen, vor uns stehen schon Autos, Wohnmobile, schwere Transporter. Wir bekommen keinen Platz mehr, müssen die nächste Fahrt abwarten. Da stehen wir im heftigen Wind und spähen ans andere Ufer: Legt dort nicht gerade eine Fähre ab?
Bald schon ist es soweit. Der Bus parkt im Stahlbauch des Schiffs, wir stehen an der Reling und schauen voraus. Wasser spritzt bis zu uns hoch, scharfer Wind lässt uns zittern. Ein Mann hält seinen Hut mit beiden Händen fest und lacht. Der Wind reißt jeden Ton mit. Die Strömung ist stark, das Wasser schwappt zwischen zwei Ozeanen. Nach dem Ende der Welt geht es weiter, zum nächsten Ende. Immer zum nächsten.
Mit den Wellen
legt eine Fähre an.
Ende der Welt.