Volker Friebel
In Tübingen geh ich von der Brücke am Neckartor die Wendeltreppe hinunter: Da führt ein schmaler Weg die niedrige Mauer entlang, auf der Menschen sitzen – ihre Beine baumeln hoch über dem Wasser. Rechts enge Gärten, vor den Häusern der Neckarfont.
Um Biegung verlieren sich Mauer und Weg. Weiden leuchten auf, dahinter der Hölderlinturm mit einer Anlegestelle für Stocherkähne und Gedanken an das, was sein könnte, aber nie ist.
Die Mauer, die bis in den Fluss abfällt, war, höher als heute, im Mittelalter als Vorwerk Teil der Stadtbefestigung. Die Hauptmauer ist nicht mehr erhalten, ein paar Geschosse von Häusern der Neckarfront nehmen ihre Reste auf. Über dem Strömen starren noch einige Buckelquader der Stauferzeit.
Die Wellen sind immer neu. Auch die Gesichter der Menschen erneuern sich jedes Jahr, wenn ein frischer Schwung Studenten in die Stadt schwappt. Nur ihre Träume bleiben dieselben.
Wenn die Studenten gegangen sind, schwirren Spatzen auf die Mauer, picken Krümel, und Tauben schwingen heran.
Hier habe auch ich studiert.
Wohin gehen all die Lebenswege? In das Mögliche. Alle nur in das Mögliche.
Warum nicht in das Unmögliche?
Weil das zu scheitern bedeutet?
Beschäftigen sich die Menschen aber nicht hier, an der Universität, ganz besonders mit dem Unmöglichen, mit neuen Sichtweisen, Entdeckungen, Erfindungen? Allerdings wird ihr Mühen, wenns hoch kommt, nur wieder zum Möglichen, womöglich zu Geld.
Das Unmögliche aber ist gar nichts wert. Vielleicht haben es die Spatzen entdeckt und pfeifen uns nun dauernd davon. Sie haben immerhin fliegen gelernt.
Es ist ein Ungenügen im Getriebe des Menschen, das hielte kein Jahr lang durch – wenn nicht immer der Frühling neu käme. Wenn nicht neue Knospen aufbrächen und die Augen wieder zu glänzen begännen. Und alle Wege offen sind.
Kähne –
alle Ketten lösen, im Frühling.
Ein Mann summt.