Straßburg, Musée d’Art Moderne et Contemporain

Kunstmuseum.
Menschen umkreisen das Wrack
eines Sportwagens.

„Umkreisen“ ist das entscheidende Wort in diesem Haiku. Das stammt nicht aus der Kunst, sondern aus religiösem Kontext. Die Umkreisung von wichtigen religiösen Artefakten gibt es in vielen Religionen der Welt. Es ist die Verehrung der heiligen Mitte unseres Daseins.

Vor dem zerbeulten Sportwagen verstehe ich plötzlich, dass es sich bei dem, was hinter den in Museen moderner Kunst ausgestellten und betrachteten Exponaten liegt, nicht um Kunst, sondern um Religion handelt. Die Kernaussagen unserer Existenz: der Unfallwagen, die Comics, die beliebigen Collagen, auch die Form der kindlichen Darstellung, geschaffen von Menschen, die keine Kinder sind und die Darstellung tiefer und ausführlicher gelernt haben als alle alten Meister, decken die Infantilität unserer Kultur auf, die sich in ihrer Größe nicht anders mehr darstellen und betrachten lässt, als in Abfall-Collagen und Kritzeleien der Nachbarkinder.

Plötzlich wird mir klar, dass die Kunst eben darin tatsächlich noch lebt. Moderne Kunst ist eine Darstellung und gleichzeitig eine Dekonstruktion unserer Zeit. Sie ist die Religion unseres gebeutelten Gewissens.

Im Nachbild dieses Blitzes der Erleuchtung beschleicht mich allerdings auch schon die Ahnung, wie banal meine Erkenntnis ist. Alle Menschen haben sie schon längst und ohne Blitz und Donner vor dem gähnenden Bären verinnerlicht.

 


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