Sarnath

Volker Friebel

 

Der Wildpark von Sarnath, etwa zehn Kilometer nördlich der Ghats von Varanasi und des Ganges. Hier hielt Shakyamuni die erste Rede nach seinem Erwachen, hergewandert vom Bodhibaum, 240 Kilometer sind das der Karte nach. Hier setzte er das Rad der buddhistischen Lehre in Gang und gründete, vor zweieinhalb Jahrtausenden, eine Mönchsgemeinschaft, die bis heute besteht.

Ich habe Tränen in den Augen, als das Gitter der Umfassung hinter mir bleibt und ich hinein in diese Stätte gehe, in den heiteren Staub.

Von den Schritten wie vieler Pilger hoben die Flusen sich schon und sanken wieder zu Boden, bis zurück zu den moslemischen Eroberern im 12. Jahrhundert unserer Zeit, als die Klöster fielen? Und weiter zurück noch, bis zur Errichtung der Klöster in der Ashoka-Zeit? Und noch einmal weiter, bis zu den Schritten der ersten Mönche und denen des Buddha?

Was hat er in seinem Herzen gedacht? Seine überlieferten Reden dieser Zeit atmen ein überströmendes Lebensgefühl, verzeichnen einen Sturm von Glück und Helligkeit über dem Dunkel und Elend der Welt.
Dass so ein Jubel überhaupt möglich ist! Ich lasse die alten Sutren sinken und schaue in den wirklichen Himmel, der fast derselbe wie damals ist, heute angereichert mit Smog, dem Abfallprodukt einer moderneren Suche nach Glück.

Der Himmel ist durchleuchtet vom Licht.

 

Im archäologischen Museum (gegründet im Jahre 1919, 6.832 Ausstellungsgegenstände), gehe ich immer wieder im Kreis um das Löwen-Kapitell.

Nachdem er das Reich seiner Väter durch Eroberungen noch weiter vergrößert hatte, bis es den größten Teil des indischen Subkontinents umfasste, besann sich König Ashoka (geboren im Jahre 304, gestorben im Jahre 232 vor unserer Zeitrechnung). Er wurde Buddhist, führte einen beispiellosen Sozialstaat ein und unterstellte seine Herrschaft hohen moralischen Prinzipien. Die neuen Grundzüge der Herrschaft verbreitete er durch Edikte im ganzen Land. Häufig waren das Inschriften auf Säulen, die von Löwen gekrönt waren.

Löwen als Symbol der Herrschaft – und des Dharmas. Der historische Buddha wurde zu Ashokas Zeiten Löwe von Shaya genannt, nach dem Geschlecht der Shaya, aus dem er stammt. Auch in Sarnath ließ Ashoka eine solche Säule errichten. Sie wurde im 19. Jahrhundert aus dem Staub geholt und später in das Museum gestellt. Ihr Kapitell ziert das Wappen des modernen Indien, das buddhistisch zwar nicht mehr ist, aber stolz auf seine Vergangenheit.

So gehen wir nun, gehen im heiligen Kreis. Der ein Symbol für das Nichts ist. Und zugleich auch für alles. Die Luft ist von vielen Sprachen durchzittert.

 

Aus dem Staub tönen Worte. Aus dem Staub formen sich neue Augen und sehen im Spiegel sich selbst. Aus dem Staub erheben sich Menschen und Vögel und atmen die Luft dieses Tages.

Der Staub ist heiter. Der Staub ist traurig, hat Angst vor sich selbst. Der Staub stammt aus dem Inneren explodierender Sonnen. Der Staub ist kalt wie der Weltraum. Er tanzt.

 

Besuchergruppen schlendern auf den Wegen durch das Gelände, einzelne Mönche, Pilger aus allen Teilen der Welt. Sie haben Blumen auf wiedererrichtete Mauern gelegt, haben mit goldener Farbe Ziegel und kleine Skulpturen bemalt. Es ist überraschend angenehm hier. Von ein paar Klöstern stehen die Grundmauern, einige weitere Ruinen der Ashoka-Zeit und späterer Jahre finden sich, darunter zwei Stupas. Und Bäume, in deren Schatten die Menschen rasten. Und lauschen.

Stein spricht zu uns.
Im Bambus am Rande des Staubs
pfeift ein Vogel.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aus: Volker Friebel (2015): Im ausgewilderten Licht. Orte und Wanderungen. Tübingen: Edition Blaue Felder.

 


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