Volker Friebel
Zwölf Kilometer hinter Tinghir, einer Oasenstadt des Tafilalet mit stolzen 45.000 Einwohnern, kommen wir zur Todra-Schlucht, etwa 1.400 Meter über dem Meer gelegen, eingeschnitten in den Hohen Atlas.
Der Fluss Oued Todra, der sie ausgeschwemmt hat, führt in den Sommermonaten meist kein Wasser mehr und versickert auch zu wasserreichen Zeiten einige Kilometer weiter entweder in der Oasenlandschaft des Tafilalet oder in der südmarokkanischen oder der algerischen Steinwüste.
Seine Arbeit am Stein des Atlasgebirges ist beeindruckend. Bis zu 300 Meter hoch sind die Steilwände der Schlucht.
Hoch in den Wänden sehen wir Löcher, aus denen ab und zu Mauersegler hinein in den Himmel stürzen und gleich eine scharfe Kurve ziehen, vor der gegenüber liegenden Wand.
Ein Lieferwagen rollt die Straße herunter. Durchs Gitter hinten starrt eine Ziege mich an. Ob sie auf der Fahrt zu einer neuen Weide oder zum Schlachter ist? Ich spüre mein Herz.
Wir übernachten in dieser Schlucht. Auf dem Weg vom Restaurant zur Unterkunft schaue ich hoch in die Nacht.
Todra-Schlucht.
Der Spalt
voll Sterne.
Marokkanisches Hotel.
Aus Löchern in der Wand
fliegen Spatzen auf.
Marokkanischer Morgen.
Die Liebste
leiht mir ihren Kamm.
Pfad durch die Fluss-Oase.
Die Wäscherin
weicht scheu den Fremden aus.
Ein neuer Morgen. Erlebnissplitter, kleine Szenen wirbeln in mir durcheinander, vermischen sich: Wanderung durch die Todra-Schlucht – Spaziergang durch die Gemüsefelder eines Oasendorfs – Besichtigung des schon oft als Filmkulisse in die große Welt eingegangenen Ksar Aït-Ben-Haddou am Fuß des Hohen Atlas (Lawrence von Arabien, James Bond, Himmel über der Wüste, Die Mumie, Alexander, Game of Thrones und andere) – und weiter geht es, auf der Straße nach Marrakesch.
Aprikosenblüten.
Der braune Fluss ist
ein tiefer Gesang.
Durch die Wüste
Strommasten. In mir
kreist ein Lied.
Straße der Kasbahs.
Myriaden Sonnen
in Scherben aus Glas.
Zerfallene Lehmhäuser.
Ziegen beweiden
die schwarzen Steine der Wüste.
Marokkanisches Frühstück.
Die Gitterstäbe der Fenster
werden zu Bögen.
Hoher Atlas –
das Glitzern im Kleid
der Berberfrau.
Am Straßenrand
Brot und Orangen. Wäsche
flattert im Wind.
Im Straßencafé, ein Dorf irgendwo unterwegs. Der Muezzin ruft. Die Liebste schaut nach Rosenwasser. Das Braun der Kasbah. Am braunen Fluss eine Wäscherin, ein Mann und ein Kind gehen an ihr vorbei.
Auf dem Oasen-Spaziergang habe ich von den Blättern einer Tamariske Salz gekostet. Sie scheidet es über Drüsen aus. Da wuchsen auch Gemüse und Korn. Hinter einem Grenzstein gruben zwei Männer das Brachland um.
Vielleicht sind in den Oasen die Dinge klarer als anderswo. Es ist Grenzland. Die Menschen stehen hier der Wahrheit direkt gegenüber.
Wir gewöhnen uns schnell.