Volker Friebel
Wir verlassen die Tiefebene von Fès. Der Rif-Atlas, der sich an der Mittelmeerküste hinzieht, liegt hinter uns, unsere Straße geht nach Süden, dem Mittleren Atlas zu, der sich als weitere Gebirgskette etwa parallel zum Rif-Atlas erstreckt, fast 500 Kilometer lang, mit Gipfeln bis 3.356 Metern über dem Meer. Noch weiter südlich liegt die Kette des Hohen Atlas, die bis 4.167 Meter aufsteigt.
Es ist eine lange Fahrt. Durch Steinebenen. Durch dürres Weideland. Wir kommen in die Höhe und fahren an immergrünen Stein-Eichen vorbei, von denen manche aus den Felsen zu entspringen scheinen.
Atlas-Zedern ziehen unsere Augen zum Himmel hoch.
Eine Berberin schaut über ihre wenigen Schafe weg in ein Tal. Vielleicht sinnt sie über ihren Liebsten nach, vielleicht über das Leben in der lockenden Stadt.
Der Mittlere Atlas ist nur dünn besiedelt. Aber unter einer mächtigen Zeder werden Töpferwaren angeboten, für durchkommende Touristen.
Zunehmend Wälder.
Schneereste.
Atlas-Zedern.
Über zerfallenen Mauern
der Himmel.
Steinebene.
Ein Esel, zwischen Gebirgszügen
allein.
Als Stein-Eichen
hebt sich das Land in den Himmel –
ein Stück.
Blitzspur –
die Atlas-Zeder hinab,
in den Schnee.
Pass-Station.
Berberkinder springen zum Bus –
und ihr Esel.
Der Pass ist der Col du Zad, 2.178 Meter über dem Meer. Die Straße ist schmal, steil, aber asphaltiert.
Tamarisken.
Eine Plastiktüte nimmt ihren Weg
zu den Bergen.
Berberdorf.
Tauben fliegen hinaus
auf das Steinfeld.
Kahle Dornbüsche.
Schafe weiden
die Steine ab.
Hoher Atlas,
wo der Schnee überströmt
in die Wolken.
Aus der Einöde
Staub, ein Esel, ein Mann,
der ihn reitet.
Eine Flussoase, Teil einer ganzen Gruppe solcher Oasen, des Tafilalet, durchflossen und verbunden vom Ziz, einem Fluss, der im Hohen Atlas entspringt und seinen Weg in den Süden sucht – um irgendwo im Wüstensand zu versickern.
Vorher aber bewässert er die 1.380 Quadratkilometer des Tafilalet, mit 300 Dörfern und bis zu 150.000 Bewohnern. Irgendwo hier, Steinchen um Steinchen, Sandkorn um Sandkorn, beginnt die Wüste.
An ihrem Rand ist unser Camp.
Wüstenwind –
ein Spatz klammert sich
an die Camp-Lampe.
Einer Dschinn-Geschichte lauschen,
während Kamele
Steine abgrasen.
Dschinn sind Geister, erschaffen aus rauchlosem Feuer, um Gott zu dienen, wie die Menschen. Für diese sind sie in der Regel nicht sichtbar, können ihnen aber schaden, wie etwa die Dämonen früher in unserer Kultur. Die meisten Dschinn leben allerdings beziehungslos neben den Menschen in der offenen Natur und stören sie nicht, können sie sogar beschützen.
Dschinn kommen im Koran vor, neben Engeln und Menschen. Die Verkündung des Propheten gilt ausdrücklich auch ihnen. Es gibt gläubige Dschinn und ungläubige. Der Glaube der Marokkaner an sie ist älter als der Islam, wie auch die Menschen älter sind und der Glaube an Engel.
Schutz vor bösen Dschinn versprechen Amulette oder die „Hand der Fatima“, ein Zeichen, das auf Fatima zurückgeht, die jüngste Tochter Mohammeds mit seiner ersten Frau. Dargestellt findet es sich als Hand, oft mit einem Auge in der Handfläche, das den bösen Blick abwehren soll.
Das Beispiel für einen guten Dschinn findet sich in der Geschichte „Aladin und die Wunderlampe“ aus den Märchen aus Tausendundeiner Nacht, wo der Held seine Abenteuer mit Hilfe eines Dschinn besteht, der in einer Öllampe eingesperrt war und durch ihn befreit wird.
Der Glaube an Dschinn ist im Volk zwar weit und tief verbreitet, wird auch durch den Koran unterstützt, ist aber unter islamischen Intellektuellen nicht unumstritten.
Ob Dschinn wirklich existieren? Der Glaube an sie existiert. Auch das ist ein Fakt.