Volker Friebel
Unser Reisebus fährt zunächst entlang der Mittelmeerküste. Im Wind segeln Möwen. Das Land ist grün. Stechginster blüht. Weizenfelder. An der Landstraße schlendert ein Alter im Djellaba, dem traditionellen bodenlangen Mantel mit langen Ärmeln und spitzer Kapuze. Ein anderer Mann bewacht seine einzige Kuh.
Wir biegen landein und kommen nach Chefchaouen, der heiligen Stadt. Sie liegt auf 560 bis 600 Meter Höhe am Hang des Rif, einer zum Atlas-Gebirge gehörenden Kette, die sich über 350 Kilometer parallel zur Mittelmeerküste hinzieht und mit 2.448 Meter ihre höchste Erhebung hat. 45.000 Menschen leben in der Stadt.
Im Jahre 1471 wurde die Stadt gegründet, im selben Jahr entstand die große Moschee, die auch als islamische Ausbildungsstätte dient. Die Stadt wirkt andalusisch. Das geht auf das Jahr 1492 zurück, in dem nicht nur Kolumbus Amerika entdeckte, mit dem auch die Reconquista, die christliche Rückeroberung Spaniens endete und als letztes islamisches Reich auf spanischem Boden Granada fiel, mit der Festung Alhambra. Das Alhambra-Edikt der katholischen Könige Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón ordnete die Ausweisung aller Juden an, soweit sie sich nicht zum Christentum bekehrten. Obwohl die Eroberung vor allem von Juden finanziert worden war. Und, weitere grausame Ironie: Viele, die zum Christentum übertraten, wurden später von der Inquisition angeklagt und verbrannt. Die Muslime verließen das Land.
Marokko blühte unter den aus Spanien Vertriebenen auf. Jahrhunderte lang war Ausländern der Zutritt zu Chefchaouen verboten, sie galt als heilige Stadt.
Enge Gassen, weiße Häuser, Straßencafés, viel Blau (es soll vor dem Bösen Blick schützen).
Der Muezzin ruft.
Grell
die Pomeranzen im Baum.
Wir fahren weiter, über Ouezzane nach Moulay Idris, einem islamischen Wallfahrtsort. Dort liegt das Grab von Idris ibn Abdellah, einem Sohn des Kalifen, der seine Heimat Medina verlassen musste, als Idris I. eine Dynastie in Marokko gründete und dazu beitrug, dass das westliche Maghreb unter eigenständigen islamischen Herrschern der Herrschaft des Kalifats entglitt.
Die Landschaft ist grün. Dass Nordafrika früher als eine der Kornkammern Roms galt, verstehen wir nun. Allerdings soll Nordafrika damals noch fruchtbarer als heute gewesen sein. Selbst die Sahara war in Folge von Klimaveränderungen zeitweise grün.
Im Feld stehen Reiher. Eine Berberin im rosa Gewand auf der Weide hütet Kühe.
Kakteen. Ein Esel, der auf die Straße starrt.
Eine weitere Berberin. In ihren Eselskarren häuft sie Gras.
An einem Strommast steht noch ein Esel und schaut auf die Straße.
Die langen Schatten einer Eukalyptus-Allee fallen wie eine Mahnung auf die Felder. Eukalyptus verbraucht viel Wasser, für dieses Land zu viel.
Zwischen Kornfeldern sucht ein Berber mit seinen Schafen den Weg.
Leere Plastiktüten wehen über das Grün.
Auf einem Feld schwingen Männer ihre Hacken.
Zwiebelfelder.
Olivenbäume.
Wilder Senf.
Wilder Himmel.
Ihr Bündel auf dem Rücken –
die Berberin
schaut lang ins Tal.
Sonnenuntergang.
Ein Berber kniet nieder
im Feld.
Märzlicht.
Schafe am Flusssaum, Mäuler
wasserumströmt.
Hotel im Rif-Atlas.
Aus dem Schwimmbecken
quaken Frösche.
Außer Saison.
Das Hotel
ist von Vögeln besetzt.
Marokkanischer Morgen.
Durch den Schlitz in der Mauer
ein Streifen Licht.
Ein Junge am Bach
zwischen Kühen, den Kopf gesenkt
bis zum Gras.