Volker Friebel
3-Insel-Tour
Wir buchen die 3-Insel-Tour über das Netz. Treffpunkt ist der Hafen in Kos-Stadt, dort schaukeln die großen Ausflugsboote nebeneinander. Der Tag ist schön, so setzen wir uns auf das Oberdeck. Eines nach dem anderen verlassen die Boote den Hafen.
Die erste Insel ist Kalymnos, gebirgig, mit immerhin 110 Quadratkilometern Fläche. Früher hieß die Insel Kalydna, was „Insel mit gutem Wasser“ bedeutet. Sie wurde, wie Kos, bereits in Homers Illias erwähnt, als der Dichter aufzählte, wer von wo Schiffe nach Troja geschickt hat.
Dann die Nisyros umher und Krapathos bauten und Kasos,
Kos, des Eurypylos Stadt, und umher die kalydnischen Inseln:
Diesen gebot Pheidippos zugleich und Antiphos führend,
Beide Thessalos‘ Söhne, des herakleidischen Königs.
Ihnen folgt‘ ein Geschwader von dreißig gebogenen Schiffen.
(Übersetzung: Johann Heinrich Voß)
Dreißig Schiffe mit je etwa 120 Kriegern waren für Kos und die umgebenden Inseln wie Kalymnos nicht wenig, der Heerführer Agamemnon aus Mykene stellte als größtes Kontingent der Flotte 100 Schiffe, Menelaos aus Sparta, der Mann der entführten Helena, stellte 60, Athen 50.
Früher brachte Tauchen nach Naturschwämmen Wohlstand, heute leben die etwa 15.000 Menschen auf Kalymnos von Landwirtschaft und Tourismus. Wir laufen in den Hafen von Pothia ein und gehen ein Stück in den Ort.
Nach dem Touristenstrom
kräht ein Hahn.
Die Kirche: geschlossen.
Elisabeth klopft an einem benachbarten Haus, in dem sie eine Frau arbeiten sieht. Die erhebt sich schwer von ihrer Arbeit, öffnet und versteht irgendwann, was diese Frau aus der Fremde möchte. Elisabeth kauft ein paar Kerzen dafür.
Wind von landeinwärts.
Eine alte Frau
öffnet die Kirche.
Drei winzige Kirchen über dem Hafen sind weit älter. Zu einer steigen wir hinauf, betrachten von hier aus Hafen und Meer.
Die zweite Insel, Plati, ist klein und unbewohnt. Wir betreten sie gar nicht. Das Boot ankert zum Badeausflug in einer Bucht. Menschen springen vom Deck ins Meer.
Die dritte Insel, Pserimos, bildet mit Kalymnos und kleineren Inseln zusammen eine Gemeinde. 14 Quadratkilometer groß, wasserarm. Etwa 70 Einwohner sollen es sein, fast alle in den Häusern am Hafen und wenig hinein in die Insel, wo Olivenhaine liegen. Ansonsten gibt es Fischzucht in großen Becken im Meer. Außerdem Fischfang und Tourismus.
Die Dorfkirche hat geschlossen. Auf dem Friedhof daneben viel Marmor, wilde Blumen in den Fugen, wenige Blumen als Gabe, nur bei den zuletzt Verstorbenen. Einige Frauen auf den Fotos der Toten mit Kopftuch, so wie das auch bei uns vor zwei, drei, vier Generationen üblich war. Vom breiten Sandstrand her (einige baden) dröhnt Musik. Eine Motorsäge knattert.
Ein Stück gehen wir die Dorfstraße ins Inselinnere. Am Ausgang der Siedlung Planen unter einem ummauerten Olivenhain. Ein junger Mann rüttelt mit einem Motorarm an einzelnen Ästen. Er und zwei Frauen lesen anschließend Oliven von den Planen und was neben sie in das Gras gerollt ist.
Auf der Bootsfahrt zurück nach Kos-Stadt ein letzter Programm-Punkt: Syrtaki. Wir lachen. Und tanzen doch mit.
Der Angler
Um die 30 Jahre alt wird er sein, schwarz sind Haar und Schnurrbart, in einem ramponierten Auto sitzt er, das steht am Ende der Sandpiste an einem wilden, wenig belebten Strand von Kos, neben sich eine Angel, ausgeworfen, an einem Ständer fixiert, Eimer und Tonne für den möglichen Fang bereitgestellt.
Er schaut nicht auf das Wasser, er schaut in diese Leere vor sich, noch vor dem Glas seiner Windschutzscheibe, und raucht. Die Zigarettenkippen und -schachteln um das Auto bezeugen, dass er nicht den ersten Tag hier verbringt, vom Vormittag bis in den Abend.
Das Meer beachtet ihn nicht, es wirft Schaum und Sand auf den Strand, die noch vor der nächsten Welle zurückspülen und in der Weite vergehen.
Sandkorn an Sandkorn,
arbeitslos, in den Augen
das Meer.
Impressionen
Die Unterkünfte auf der Insel sind weiß getüncht, sehen schön aus. Die Felder sind nun, Ende Oktober, fast alle leer. Aber sie sind vorhanden, die Menschen verlassen sich nicht ganz auf den Tourismus. Wir sehen wenige Solaranlagen und wenige Windräder, obwohl der Wind manchmal heftig bläst.
Im Inselinneren sahen wir viele Bienenkästen, in großen Gruppen. Auch Kuhweiden gibt es zwischen dem Ödland. Nicht umzäunt wie bei uns, sondern die Kühe mit einem Strick um den Hals und angepflockt, so dass sich ihre Bewegungsfreiheit auf einen kleinen Kreis beschränkt. Kontakt zu anderen haben nur die Kälber und Mutterkühe. Auch zwei Ziegen, die wir sahen, hatten Stricke um den Hals, weideten aber beisammen.
Hühnerhöfe. Olivenhaine. Alle Wasserläufe, auch im Gebirge, standen trocken. Mandarinenplantagen. Gemüseäcker, meist abgeerntet, auch leere Kornfelder, mit Kuhfladen als Düngung. Wenige Krähen und Tauben. Noch weniger Elstern. Spatzen in großen, lustigen Gruppen. Auch aufgegebene Häuser und Immobilienprojekte.
Bushaltestellen gibt es überall, bis auf einmal waren die Busse pünktlich. Dieses eine Mal dürfte allerdings einem englischen Paar die Teilnahme an der 3-Insel-Tour gekostet haben. Dieser Bus kam anscheinend gar nicht. Oder zu früh, die beiden waren ein wenig verspätet.
Strandspaziergänge
Immer wieder den Fußweg am Strand, immer wieder ihn neu erleben. So wie es immer derselbe Strand und dasselbe Meer sind, sich die Körner des Sandes und die heranstürmenden Wellen aber erneuern. Der Atem wird ruhiger im Laufe der Tage. Abends dann zu zweit in der Dämmerung sitzen, mit etwas Wein am Meer, bis die ersten Sterne klar über der Dunkelheit stehen. Die Lichter am Horizont sind teils von griechischen Inseln, teils von Touristenstädten am Strand der Türkei, ununterscheidbar.
Die Worte sind vor der Brandung
verstummt,
vor dem Licht.
Weil Worte vor der Schönheit versagen, die namenlos bleibt.
Am Horizont
Segelboote
und eine Verheißung.
Aber was für eine Verheißung das ist? Ist es das Leben, die Freiheit, das weite Herz, das Abenteuer, das Unbekannte? Es ist irgendetwas, das dort sein kann, aber nicht hier, niemals hier.
Bauruine.
Vernagelt alle Fenster
zum Meer.
Was es gab,
hat es zerschmettert, das Meer,
und es dröhnt weiter.
Überm Branden der Wellen
erscheinen Sterne.
Wir reden nicht mehr.
Heimreise
Erwachen im Rauschen
des Meers.
Eine Wiege.
Abreisetag.
Vor der Haustür die Blüte
will bleiben.
Neben der Fußmatte
Blüten. Ein Insekt fliegt auf,
in die salzige Luft.
Abreise.
Mit den Palmen bleiben Spatzen zurück.
Und die Katze.
Durch milchiges Weiß
erscheinen Inseln.
Wir träumen noch.
Die Unschärfe
des Horizonts, selbst hier,
in den Himmeln.