Gedichte um Bäume, manche davon über sie, manche von ihnen abgelauscht, wer weiß, vielleicht aus dem Wind. Ein paar sind später zu Liedern geworden. Alle stammen von Volker Friebel (1956-2064).
Kiefer am Bergsee
Offen das Auge des Sees,
Wimpernhaare, die Kiefern, oben und unten
der Himmel.
Ein zorniger Wanderer geht vorbei, hadernd
mit diesem Jahrhundert, in der Öde wiederzufinden
den Weg.
Wie er leiser wird, verschwunden schon bald
in der Ebene, vor dem steil aufstürmenden Fels,
vor den Wasserfällen.
Tropfen Nektar, du summst
aus meinem Wipfel ins Blau.
Tropfen Honig, du dämmerst
im stillen, verborgenen Stock.
Vertont. Hier der Link zum Lied auf YouTube (es dauert einige Minuten bis der Text kommt)
Ringe um Ringe
Ein Lied des Kirschbaums
Die Jahre hab ich nach innen genommen,
Ring um Ring in die Stille,
ins Holz, dicht an dicht
all ihr Glück und ihr Leid.
Was hast du von deinem Leben gewollt?
Einen Koffer voll Geld,
einen Sonnenaufgang im Schnee,
Blütenblätter im offenen Haar
einer Frau, die Berührung zweier
Hände im Mondlicht,
eine Schaukel im Baum,
Liebesflüstern zwischen
Halmen des Sommers.
Wenn die Worte versagen,
schaut das Leben dich an.
Ringe um Ringe,
unter der Rinde vermählt.
Ein Junge steht auf der Leiter und lacht,
Zwillingskirschen baumeln am Ohr.
Ringe um Ringe,
unter der Rinde vermählt.
Dämmern im Wald, am Hang zwischen Bäumen,
der Junge ist stehen geblieben und lauscht.
Ringe um Ringe,
unter der Rinde vermählt.
Tränen, Tränen, allein in der Nacht,
auf Sperrmüllmatratzen tropft Kerzenwachs.
Ringe um Ringe,
unter der Rinde vermählt.
Der Stamm ist morsch, die Axt holt schon aus –
doch Zwillingskirschen baumeln am Ohr.
Ringe um Ringe,
unter der Rinde vermählt.
Im Raureif
Ein Lied des Eichenwalds
Hast du meine Blätter gesehen?
Knie dich hin und greif in den Schnee,
zieh eins heraus, halt es ans Licht –
durch kahles Geäst fällt ein Strahl
in deine offene Hand.
Im Raureif hörst du den Atem
tiefer als jemals im Traumpalast.
Aus deinen Augen bröckeln Werbefilme,
Bild um Bild
fällt am Leben vorbei.
Immer sind wir einfach gestanden um dich,
und du gingst umher.
Unter Tauben sangst du,
du griffst in die fallenden Blätter
und hieltst eines auf.
Dieser Ort in der Mitte der Welt
ist mein Leben. Holzknechte kommen und gehen,
Wind geht, und manchmal fällt Schnee.
Weißt du denn, was dein Leben ist,
dass du suchst und immer noch suchst?
Was hast du von deinem Leben gewollt?
Was hast du getan, Schritt um Schritt,
Handwerk um Handwerk?
Nun kniest du, nun hältst du die leere Hand
in das Licht.
Nymphe in der Weide
Mein Leben ist so ganz verbunden
mit dieser Weide, mit der Weise
wie ihre Zweige abwärts hängen,
und wenn es durch das Wasser streicht,
ist es mein Haar, und wenn der Mond
durch meine Blätter auf den Fluss fällt,
dort matt sich spiegelt, flimmert, bricht,
flirrt so mein Herz. Die Welt will ganz
umfangen sein, so weit die Zweige
den Raum auspendeln und die Zeit,
so weit die Sehnsucht mit dem Wasser
und mit dem Duft noch weiter treibt.
Mein Leben ist so ganz verbunden
mit dieser Weide, doch den Mond
auf Wellenflüstern in der Nacht
lieb mehr ich und die Biene, wie
sie schwer davonsirrt, übers Wasser,
im Goldglanz, und den Schmetterling,
der leicht sich setzt auf dieses Blatt,
die Flügel breitet allem Licht
und meine Liebe nie erkennt,
wie sie im Stamm verborgen wartet,
nur immer wartet, während alles
nur immer stumm vorüber geht.
Mein Leben ist so ganz verbunden
mit dieser Weide, und die Liebe
ist groß, wächst immer weiter auf,
von Tag zu Tag, von Nacht zu Nacht.
So ganz verborgen in der Tiefe
des Stammes bleibt ihr nur zu wachsen,
nie zu verströmen, nur die Bilder
in sich zu träumen, die der Mond
allnächtlich gießt den stillen Freunden
ins Werden, dass vielleicht ein Fremdes
sich einmal streicht über die Schläfe
und auch die Liebe in sich spürt.
Die Weide
Am Bach summt die Weide,
ein Korb steht am Weg.
Ein Tropfen Nektar hat sich beflügelt
und schwebt in den Himmel,
dem Stock zu, den Waben –
prallt gegen das Fenster,
eine Biene krabbelt im Staub.
Du senkst den Blick, du flichtst weiter,
weiter an strohenen Sternen.
Was du alles besitzt.
Aber nur da, wo du allein bist,
ohne dies Segelboot,
ohne den Turm, aus bunten Klötzen gebaut,
ohne die Statue im Garten,
ohne die Blume, gebrochen in eine Schale,
ohne dies alles berührt deine Seele
das Lied in der Luft,
als eines unter den Dingen.
Zu dulden ist schön,
zu dulden, dass die Sonne scheint,
die Scherbe Glas am Landstraßenrand,
den Amseljubel am Morgen,
der in den Abend dann schilt,
das satte Wachsen des Grases
und den Stein am Boden,
sein Murmeln, zu dulden
die Berührung des Himmels.
Und zu spüren das Herz,
das Stille nur häuft,
dich zuzuwenden, zu staunen
in das fremde Gesicht: dein Gesicht.
Wie es schön ist, wie es
niemals im Spiegel erschien
oder auf Bildern, nur da im Herzen
dich mit den Dingen versöhnt
und dann in sich selber vergeht.
Sieh, wie die Weide blüht.
Hör, wie der Wiesenbach saust.
Die Bienen finden zum Stock.
Früher, so sagt man, bewohnte
eine Nymphe das Holz.
Sie schwand immer mehr, bis im Lied
sie endlich verging. Doch wenn du
die Weide berührst, spürst du sie
strömen in dir.
Lindenblüten
Das Glück hängt nieder
aus dem Himmel,
mit diesen Lindenblüten,
bis vor mein Herz,
mein taumelndes Herz.
Was hast du ihm Liebes getan,
mit deinen Küssen,
wie hast du es verwundet,
mit deinem Blick.
Schwäne schwingen überm Wasser,
Flügelschläge klingen hoch
ins blaue Dämmern.
Und schon wieder glatt und still
liegt der träumende See.
Lindenblüte, du fielst auf die Wellen,
wo der Abend noch heller wird,
wo unsere Spiegelbilder
verschmelzen, um ineinander
zu vergehen.
Stangen ins Licht
Aufgewachsen an den Stangen der Sonne,
in den Wind,
in die Schwärme der Wolken.
Mineralien steigen durch die Adern
des Holzes,
Säfte der Erde strömen hinauf.
Die ganze Erde steigt auf –
die ganze Erde will strömen,
hinein in den Himmel.
Die ganze Erde fällt am Ende zurück,
unter dem Klang der Äxte,
unter dem Wind.
Zwei Menschen sind unter mir
gelegen im Gras. Ein Kind ist geklettert,
ein paar meiner Äste hoch.
Ein Vogel stürzt hinein in den Himmel.
Eine Feder fällt unter den Blitzen
der Wolken zurück.
Schaukel im Apfelbaum
An meinen untersten Ast
ist eine Schaukel gehängt.
Äpfel liegen ringsum im Gras.
Kinder jauchzen, wenn bloße Füße
den Himmel berühren.
Ein Ächzen, wenn der Schwung
an meinem Leben zerrt.
Hinauf, hinab,
Hände fest um das Seil,
Sonne blinzelt Schatten und Licht,
da strahlt ein Gesicht,
das traurig noch war, als es kam,
auf dem Weg, dunkel auf
dem Boden der Welt.
Schaukel hin und schaukel her,
schaukeln ist doch gar nicht schwer,
schaukel hin und schaukel her,
auf der Schaukel der Welt.
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