Volker Friebel
Erst einige Informationen, dann ein Erlebnisbericht in drei Teilen mit eingestreuten Fotos und Haiku.
Zur Insel
Fuerteventura ist eine der Kanarischen Inseln. Zwar ist das Eiland spanisches Staatsgebiet, liegt räumlich aber deutlich näher an Marokko, nämlich nur etwa 120 Kilometer entfernt von dessen Küste. Über 1.000 Kilometer trennen die Insel dagegen vom spanischen Festland. Fuerteventura gehört geografisch also zu Afrika.
98 Kilometer lang und maximal 31 Kilometer breit, mit 1.659 Quadratkilometern: Das ist kleiner als das Saarland, aber immerhin fast doppelt so groß wie Berlin, mit denen die Insel keine Ähnlichkeit hat.
Die Kanaren sind vulkanischen Ursprungs. Fuerteventura ist die älteste in der Inselgruppe. Etwa 22 Millionen Jahre liegt seine Entstehung zurück, der Großteil des Landes entstand aber erst vor 5 Millionen Jahren, nicht nur durch austretende Lava der Vulkane, sondern auch, indem bei unterirdischen Ausbrüchen der ganze Meeresboden angehoben wurde. Seit vier- bis fünftausend Jahren hat sich auf Fuerteventura kein Vulkanausbruch mehr ereignet. Auf der nördlich gelegenen, nur 11,5 Kilometer entfernten Nachbarinsel Lanzarote fand der letzte Vulkanausbruch im Jahre 1824 statt. Bei Ausbrüchen zwischen den Jahren 1730 und 1736 wurden etwa ein Viertel von Lanzarote mit Lava bedeckt.
Die vulkanischen Auswürfe auf Fuerteventura erodieren durch Regen und Wind. Das Land ist eigentlich fruchtbar, aber das Wasser fehlt. Fuerteventura und Lanzarote sind dabei noch deutlich trockener als die anderen kanarischen Inseln. Es regnet nur selten, im Durchschnitt 147 Liter pro Jahr und Quadratmeter. In Deutschland betrug 2016 die Niederschlagsmenge 736 Liter pro Quadratmeter. Der Beiname „Inseln des Frühlings“ für die Kanaren sagt schon, dass ganzjährig mit viel Sonne und angenehmer Wärme zu rechnen ist. Auf Fuerteventura kann es im November und Dezember je etwa 4 oder 5 Regentage geben, kaum mehr. Die Wassertemperaturen liegen auch dann noch knapp über 20 Grad Celsius, die Lufttemperaturen im Winter durchschnittlich bei 21 Grad, im Sommer bei 29 Grad als Tageshöchsttemperatur.
Das heißt aber: Die Insel ist nicht grün, sondern braun. Fast alles Grün ist künstlich angepflanzt und muss künstlich bewässert werden. Fuerteventura ist eine Insel der Strände. Die gibt es kilometerlang, für endlose Strandwanderungen und für den Gang ins Meer – auf der Ostküste. Die Westküste besteht meist aus Steilhängen. Dortige Strände gelten wegen ablandiger Strömungen als lebensgefährlich.
Etwa 110.000 Einwohner werden für Fuerteventura angegeben, das sind nur 66 Einwohner auf den Quadratkilometer. Dazu kommen allerdings nicht nur die zahlreichen Urlauber, sondern auch viele Dauergäste. Trotzdem ist an den langen Stränden Platz.
Höchster Berg ist mit 807 Metern über dem Meer der Pico de la Zarza auf der Halbinsel Jandia. Interessant sind auch die Wanderdünen im Norden, bei Corralejo. Und einige der etwa 20 zum Teil stark erodierten Vulkane.
Guanchen nennt man die Ureinwohner von Fuerteventura – wahrscheinlich Berber aus Nordafrika, die die Insel vor etwa 5.000 Jahren besiedelten. Im 15. Jahrhundert kamen die Spanier auf die Insel. Bei ihrer Ankunft soll es zwei indigene Königreiche auf der Insel gegeben haben, getrennt durch eine Steinmauer an der schmalsten Stelle, der Landenge von Jandia.
Nach wechselvoller Geschichte gehört Fuerteventura heute zur spanischen Provinz Las Palmas, zusammen mit Gran Canaria und Lanzarote sowie einigen kleineren Inseln. Die anderen großen kanarischen Inseln: Teneriffa, La Palma, La Gomera und El Hierro, bilden die Provinz Santa Cruz de Tenerife. Beide Provinzen bestehen zusammen als eine autonome Gemeinschaft, besitzen innerhalb Spaniens also einen Sonderstatus.
Jährlich zwei Millionen Besucher, ein Drittel davon Deutsche: Ganz offensichtlich ist Tourismus die Haupterwerbsquelle auf Fuerteventura. Von der früher hier und da betriebenen Landwirtschaft haben sich einzig Tomatenanbau und Ziegenprodukte auf der Insel gehalten. Aloe vera erlebt seit einigen Jahren einen Boom.
Puerto del Rosario ist die Hauptstadt, in der Nähe liegt auch der Flughafen der Insel. Die Insel ist durch Straßen gut erschlossen. Der Süden von Jandia ist Naturschutzgebiet, hier sind die Straßen weniger gut ausgebaut.
Anreise
Lüftungsrauschen im Wartesaal des Flughafens, während über dem Rollfeld die Sonne aufgeht. Menschengeplauder vor langsam ziehenden Wolken. Ein Tankwagen fährt vorbei. Nur die Sonne nimmt ihre Energie ganz aus sich selbst. Sie redet nicht. Aber sie singt. Wir warten auf das Flugzeug nach Süden ans Meer.
Wolken, die über Wolken ziehen. In den Lücken das Dunkle, tief drunten, ist das Land? Ob da Menschen wohnen, tief unter den Rändern des Himmels?
Weit unter uns soll eine berühmte Brücke stehen. Wir sehen sie nicht. Aber vielleicht schaut einer der Erbauer der Brücke durch die Jahrhunderte in den Himmel zu uns herauf, ruft, zeigt anderen Arbeitern den silbernen Drachen hoch in den Lüften. Sie lassen die Steine fallen, starren zu uns auf.
So viel von dem, was wir heute tun, würde Menschen früherer Zeit als Zauberei erscheinen. Wie Zauberer fühlen wir uns aber nicht. Im Gegenteil verlieren die Träume an Glanz und an Wert, so wie sie verwirklicht werden.
Wieviel aus seinem Schatz würde wohl Harun al Raschid, der Kalif aus Tausendundeiner Nacht, für eine solche Reise durch den Himmel geben? Wieviel würde Napoleon bezahlen auf seinem Marsch in den Ruhm? Oder Qin Shihuangdi, der nach Unsterblichkeit suchte und sich dabei mit Blei vergiftete? Wir bezahlen jeder für Hin- und Rückflug zusammen den Gegenwert von 78 Kilogramm Brot. Brot ist billig.
Die Ketten der Wolken, ihre ganz verschiedenen Formen. Das Geheimnis ihrer Wege, das so offenbar scheint, weil sie doch jeder sieht, das aber dennoch verborgen ist, weil niemand beobachtet, wie sie je ankommen oder sich aufmachen. Die Wolken sind die Wanderer der Welt. Und so verschwinden sie auch, ohne Spur.
Tief unten schweben weiße Schiffe – es sind Wolken, die langsam ihre Schatten ziehen, noch einmal tiefer und dunkler, über dem blauen Leintuch des Meeres. Das Brausen der Lüftung ist ein schwacher Ersatz für den Wind, das Menschengemurmel ein kaum besserer für die Schreie der Vögel. Die Luft ist trocken, hier oben im Himmel. Die Liebste schläft neben mir.
Meeresweiten.
Aus dem Dunst schwebt
eine einzelne Wolke.
Am Strand
Fuerteventura, das sind Strände, das sind auch jetzt, im November, Temperaturen wie im deutschen Frühling. Das sind lange Spaziergänge. Das ist Baden im Meer selbst noch im Winter mit Wassertemperaturen knapp über 20 Grad Celsius.
Die Füße finden den Sand. Die Kamera findet die Weite des Meeres. Und Wolken, aus denen morgens die Sonne steigt.
Der Sand unseres Strandes im Süden der Insel, in Jandia, ist hell. Hier und da liegen schwarze Vulkansteine in ihm. An den Biegungen der Küste können diese Steine mehr werden und größer, Felsen, zwischen denen ein Fußpfad geht.
Die Kamera sucht Spuren von Strandläufern – da kommt eine Welle.
Nach der Welle weißer Schaum auf dem Sand – wie er vergeht. Auch das Geräusch des Vergehens, ein Knistern.
Strandläufer fiepen dazwischen, grazile Vögel, sie laufen die anbrandenden Wellen entlang und versuchen, sich mit ihren langen Schnäbeln irgendwo eine Beute zu schnappen. Die nächste Welle wischt jede Spur glatt.
Außer der Spur der Zeit, die allerdings schwer zu sehen ist. Und doch hat die Zeit Felsen zu diesem Sand zermahlen. Und doch nimmt sie mit jeder Welle Sand hoch und spült ihn wieder zurück ins Meer.
Steigendes Licht.
Ein Mann schwimmt hinein
in das Gleißen.
Brandungsdonnern.
Im hellen Sand
schwarze Steine.
Die Vögel haben ihre Federn, ein Teil der Menschen ist nackt. Das sind eher nicht die Jungen und Schönen, aber weshalb sollte der Mensch als einziges Wesen der Welt sich verhüllen, wenn die Temperatur keine Kleidung erzwingt?
In der Ferienanlage weiße Gebäude, dazwischen Grün. Aus der Bar tönt Samba pa ti. Mein Herz singt mit, aber meine Seele ist noch ganz bei den Schritten am Saum des Meeres.
Aus der Bar die Musik
endet. Ich sitze noch immer
im Rauschen der See.
Im Klang der Brandung
schwebt ein Vogel. Schwarze Steine,
im Sand.
Spuren im Sand –
ihr langsamer Zerfall
im Brandungsdonner.
Ein Strandläufer flieht
vor der Welle – die Welle
zieht ihn zurück.
Strandmorgen.
Krähen plündern die leeren Burgen
der Menschen.
Spuren am Meeressaum –
der lange Tisch
eines Strandläufers.
Am Hohlweg von der Anlage zum Strand sitzen Erdhörnchen und Ringeltauben, warten auf Kinder. Leere Erdnuss-Schalen liegen am Boden. Ein Erdhörnchen hockt auf dem Mauerstein, dreht eine Nuss zwischen den zierlichen Händen, knabbert daran. Andere huschen hin und her, versuchen Eindruck zu machen.
Hinter der Brandung ist Stille. Grünes Flimmern. Mit einer einzelnen Schaumblase platzt die Sonne. Und ist doch überall immer da.
Hier und da treibt Meergras. Bis an die Küste liegt feiner weißer Sand, am Strand ruhen dann ab und an schwarze Steine zwischen den Körnern.
Keine Insekten, obwohl es windstill ist. Im Zimmer hatten wir Schnaken. Das Problem, hören wir, sei das viele gepflanzte Grün um die Anlage. Und die relative Windstille der letzten Tage. Eigentlich gäbe es auf Fuerteventura kaum Schnaken.
Der Schatten eines schwarzen Vogels gleitet über den Strand. Gestern habe ich eine kleine Muschelschale gefunden, sonst nichts.
Die Menschen sind auch da, jeder in seiner eigenen kleinen Welt. Das Meer, der Strand und der Himmel sind in allen Welten enthalten. Auch sonst gibt es vermutlich Gemeinsamkeiten. Ich bin zu träge, um weiter nach ihnen zu fragen.
Gestern sollen Wale und Delfine gesichtet worden sein.
Morgendämmerung.
Ein Kleinbus parkt
am Strand des Meeres.
Die Welle spült schwarze Steine den Strand hoch, zieht sie wieder zurück. Andere liegen schon da. Die Wolken am Horizont, dort wo die Sonne erscheinen wird, sind rot. Eine halbe Muschelschale. Spuren im Sand. Stücke Seegras. Wenige Gäste wandern am Strand, einer schwimmt draußen, einige joggen.
Sonnenaufgang.
Unter der Wolkenfront
ein Frachter.