Volker Friebel
Im Klostergarten
durchs Labyrinth – der Weg schon gefunden
vom Schnee.
Ich öffne die Augen aus der Erinnerung an Heiligkreuztal in die Gegenwart von Ellwangen. Um letzte Schneereste im Graben neben dem Pilgerweg gluckst Wasser. Ein scharfer Wind bläst um das Schloss auf dem Hügel, von dem die Allee hinabgeht ins Tal, eine Straße quert und übergeht in einen Kreuzweg, den Schönenberg hinauf zur Wallfahrtskirche.
In kahlen Bäumen geckern Dohlen, am Horizont drehen sich Windräder. Zwischen den Wolken flutet Licht aus der Höhe, jagt in Streifen über das Land.
Das Licht ist Leben. Wie viele Kulturen verehrten dies Licht, erkannten die Sonne als ihr Höchstes, als ihren Gott – und die Wende des Jahres, wenn die Sonne wieder zu steigen beginnt, wenn die hellen Stunden länger werden, als die Geburt ihres Gottes.
Es ist das Licht, das sich im Grün der Blätter und Gräser verwandelt in Leben, das mit dem aufgenommenen Grün zur Raupe wird und zum Schmetterling, zum tapsenden Bären, zum Kind in der Wiege, zu den Eltern, die sich über es beugen.
Die Wellen aus Licht zwischen den Schatten der ziehenden Wolken berühren das Gras und den Winterweizen. Sie ziehen die Hoffnung auf, wie auch die Wellen der Ideologien das versuchen, die seit mehr als einem Jahrhundert über das kultivierte Land streichen (und noch viel länger, nimmt man eine noch tiefere Hoffnung und die über ihr wechselnden Religionen dazu).
Doch die Ideologien sind von Menschen gemacht, in der Enge der Städte, wo die Mauern tiefe Schatten werfen und die Unterschiede der Menschen sich aneinander reiben, wo eine neue Einfachheit die Entfremdung voneinander und von Erde und Himmel vergessen lassen will. Ihre Losungen wechseln so schnell wie die Kombinationen ihrer Farben und die Ausschlüsse, die von den Farben sie machen.
Das Licht der Sonne ist wahr, es birgt alle Farben in sich, ohne Ausschluss. Die Wellen der Ideologien aber senden Wahnsinn um Wahnsinn über die Menschen. Doch das Licht ist immer noch da, wie Gras und Blatt und Raupe und Schmetterling.
Alle Menschen aller Weltanschauungen: Wenn sie den Baum betrachten, berühren, oder das Gras, berühren sie die Wahrheit und nehmen ein wenig davon in sich auf. Sobald sie zu reden und zu handeln beginnen, entfremden sie sich wieder vom Licht.
An der Wallfahrtskirche ist ein Labyrinth aus Stein in das Gras eingelassen. Ich stehe am Eingang, wo zwei Tafeln die Mitte und die Schritte des Lebens erklären. Mich fröstelt ein wenig, hier und da schmilzt später Schnee. Grashalme wachsen im Labyrinth und kennen doch weder Mitte noch Weg. Ich betrete den Eingang, gehe geradewegs zur Mitte und lausche.
Wind.
Im Labyrinth des Lebens
Maulwurfshaufen.
Steine warten.
Zwischen Haselkätzchen pfeift ein Vogel
vom Licht.
Dienstag, 23. Januar 2024, Wanderung über das Schloss ob Ellwangen und die Wallfahrtskirche am Schönenberg