Entspannungsgeschichte
Du steigst mit Mieze vom Wolkenschloss in ein Traumland hinunter, an langsam treibenden Wolken vorbei, Stufe um Stufe. Stell dir vor, wie du mit jeder Stufe ruhiger und freudiger wirst.
Ihr berührt den Boden und geht über das Gras.
„Wo sind wir hier?“, fragst du Mieze.
„Wir sind, wo wir gerade sind“, schnurrt die Katze und gähnt königlich.
„Und wo ist das?“, versuchst du es nochmal.
„Im Land der Langsamkeit“, sagt Mieze ganz langsam.
Du duckst dich unwillkürlich, weil das Wort dich gleich an Schimpfe erinnert.
„Hier“, fährt Mieze fort und gähnt zwischendurch, „hier wollen alle langsam sein.“
„Was ist denn gut an Langsamkeit?“, fragst du.
„Probieren geht über studieren“, schnurrt Mieze. „Wir probieren, wer von uns am langsamsten zu den Bäumen dort drüben schlendern kann.“
Du versuchst es und merkst, es ist gar nicht so einfach, langsam zu sein.
„Ein bisschen langsamer, das ist gut, dabei wird jeder Schritt irgendwie besser und ich sehe viel mehr von der Umgebung“, sagst du zu Mieze. „Aber zu langsam, dann wird es anstrengend.“
Mieze gewinnt, sie erreicht die Bäume nach dir.
Unter den Bäumen hat ein Theater Zelte aufgeschlagen.
„Helft ihr uns?“, fragt eine Frau in wallendem langem Kleid. „Wir suchen Glückskleeblätter. Morgen ist Aufführung unseres neuen Stücks.“
Mieze hat bald ein Glückskleeblatt gefunden. Du nicht.
„Du bist zu schnell“, schnurrt sie. „Und zu ungeduldig. Probier es mal mit meinem Spruch: ,Schau – langsam und genau‘!“
Du achtest auf deinen Atem, wie er ausströmt und einströmt, bis du ganz ruhig bist. Und dann sagst du dir Miezes Spruch tief in dich hinein, unhörbar:
,Schau – langsam und genau!‘
Bald kannst auch du ein Glückskleeblatt in den Korb der Theaterleute legen.
Im Lager erhält das Körbchen einen Platz am Aufgang der Bühne. Du bestaunst die Kostüme der Schauspieler, die nun auf die Bühne strömen. Aber mitspielen willst du nicht, lieber zusehen.
Mieze bekommt eine Rolle im Stück. Sie hütet die Wolken. Da liegt sie auf einem Sofa am Rand der Bühne und gähnt.
Nach der Theaterprobe feiern die Schauspieler. Ihr seid eingeladen. Aber du wanderst mit Mieze wieder über die Wiese zurück.
Das Land ist so schön! Die Sonne scheint, Blumen blühen, ein Schmetterling streift dich fast, als er an euch vorbei flattert. Am Himmel ziehen Wolken.
Du spürst den Boden bei jedem Schritt, du spürst dich selbst und deine Ruhe beim Gehen.
In dieser Ruhe fallen dir die Lieder der Vögel auf, das Summen von Insekten, das Zirpen von Grillen – als gehörten all die kleinen Geräusche zur Ruhe dazu.
Die kleinen Geräusche vertiefen die Ruhe noch.
„Ich hoffe doch, du hast aufgepasst beim Wolkenhüten, nicht dass die Wolken davonfliegen“, sagst du zu Mieze.
„Wenn sie fort sind, warten wir einfach, bis ein paar neue angeflogen kommen“, schnurrt Mieze königlich und gähnt.
Aber die Wolkentreppe ist da, und du steigst mit Mieze zum Wolkenschloss. Du steigst Stufe um Stufe. Mit jeder Stufe merkst du, wie du ruhiger wirst.
Im Wolkenschloss legt ihr euch auf das große blaue Sofa und du schließt deine Augen.
Da liegst du – ganz ruhig. Kannst du die Ruhe in dir spüren? Die Ruhe ist überall in dir. – Kannst du spüren, wie schwer du bist? Dein ganzer Körper ist schwer, angenehm schwer. – Kannst du spüren, wie warm du bist? Die Wärme strömt durch deinen ganzen Körper. Du bist warm, angenehm warm. – Dein Atem geht ein und aus, ein und aus, ganz ruhig und gleichmäßig, ganz von allein. – Du bist ruhig, schwer und warm – ruhig, schwer und warm. – So liegst du ein Weilchen und ruhst dich aus. Du ruhst dich aus und spürst die neue Kraft tief in dir wachsen.
Damit kommt die Geschichte langsam zum Ende. Wenn du bereit bist, reckst und streckst du dich und öffnest die Augen.
Diese Entspannungsgeschichte stammt aus dem Buch: Volker Friebel (2019): Entspannungsgeschichten vom Wolkenschloss. Edition Blaue Felder, Tübingen. PapierBuch und eBuch.
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