Volker Friebel
Stoppelfelder.
Im Abenddämmern verschwindet
ein Vogelschwarm.
Die Honigsteige am Kloster Schöntal: Vom Talgrund der Jagst führt der Weg außen an der Klostermauer entlang, am Haus der Stille vorbei, dann biegt er ab, wird steiler, führt das Tal des Honigbachs aufwärts, teilt sich in Sträßlein und Wanderpfad.
Wir sind aus dem Wald herausgetreten, ins Offene, schauen nun links über die Wellen der teils schon gemähten Felder, rechts auf einen Hang mit Obstbäumen und hohem Gras, hinter dem das Sträßlein verlaufen muss.
Gelegentliche Motorengeräusche, ab und zu pfeift ein Vogel, sonst ist es still. Es ist eine Stille, die zu atmen scheint. Der Tag war heiß, die beginnende Dämmerung bemalt Schleierwolken, lässt sie dichter werden.
Langsame Schritte weiter. Auf der zur Straße gewandten Seite des Pfads stehen Hecken. Ich pflücke und koste die ersten schwarzen Brombeeren. Sie sind sauer.
Da schließ ich die Augen und denke beim Kosten an damals, an die Wanderung auf dem Jakobsweg, dem Küstenweg, durch das spanische Baskenland mit seinen vielen Brombeerhecken. Ich höre das Meer, spüre die Sonne – und der Geschmack der Beeren wird süßer.
Das Grün von Teichen zwischen dem Grün der Bäume am Ufer. So viele Grüns – jede Schattierung kann eine neue Färbung der Hoffnung sein, die aber doch schon alt werden muss, im Gewitter der Zeit, dunkler erscheinen und eben damit immer noch schön, vertieft durch den Tod.
Den großen Hund auf dem Pfad ruft ein Schäfer zurück übern Zaun. Als wir vorbeikommen, wendet er sich ab, seinen Tieren zu.
Wallfahrtskapelle Neusaß. An diesem Ort soll im Jahr 1152 das Kloster Schöntal gegründet worden sein, bevor es wenig später ins Tal verlegt wurde. Das ist umstritten. Eine Marienwallfahrt nach Neusaß ist jedenfalls erstmals für das Jahr 1395 belegt. Auch einen Markt gab es hier. Heute steht nur noch ein Forsthaus, das ist deutlich jünger, wie auch die heutige Kapelle, die geschlossen hat.
Wir gehen zum Heiligenbrünnle, einer in Stein gefassten Quelle mit Grotte, ein paar Schritte abseits. Blumensträuße, Putten, Kerzen. Maria. Die Augen mit diesem Wasser zu netzen, soll gegen Augenkrankheiten helfen. Über dem Rohr angebracht eine Warnung: „Kein Trinkwasser“.
Auf dem Rückweg spricht Elisabeth den Schäfer an. Der junge Kerl ist ausnehmend freundlich, nennt uns die Öffnungszeiten der Kapelle: „Wir im Forsthaus haben den Schlüssel“. Auch den Standort der tausendjährigen Linde, die bei der Kapelle stehen soll, beschreibt er uns, es ist gleich hinter dem Forsthaus.
Zurückgegangen stehen wir am mächtigen Baum und schauen ins dichte Blattwerk, spüren die Zeit. „Tausend Jahre sind weit übertrieben“, summt eine Eintagsfliege. Ich scheuche sie weg. Gut, 500 Jahre vielleicht. Oder einfach: Mächtig und alt.
Am nächsten Morgen hat das Wetter umgeschlagen. Wir sind die Honigsteige noch einmal gegangen, durch Nieselregen zur Andacht, stehen nun im vollbesetzten Raum. Warum ich, ohne zu glauben, so gern an solchen Orten bin?
Wallfahrtskapelle.
Durch die Predigt flattert
ein Schmetterling.
Er flattert zum Licht, stößt ans Fensterglas, stößt, stößt …
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