Fluten-Log – Archiv 11

Gelegentlich etwas Neues oder Altes, Text oder Foto oder Musik, ausgearbeitet oder Notiz. Soweit nicht anders angegeben, stammen alle Beiträge von Volker Friebel.

Fluten-Log: Aktuell, Archiv: 14, 13, 12, 11, 10, 09, 08, 07, 06, 0504, 03, 02, 01 (ab 07.06.2018)


Dienstag, 15. Juni 2021

Bei der Durcharbeitung von Texten für ein neues Buch finde ich eine Notiz vom Samstag, 14. Februar 2015:

Unerkennbare Wirklichkeit?

Wird etwa in der Achtsamkeits-Meditation tatsächlich die „Wirklichkeit“ „entdeckt“ oder „gesehen“? Ein Gefühl davon kann sich einstellen. Gefühle können allerdings täuschen.

Um festzustellen, ob die „Wirklichkeit“ entdeckt wird, müssten wir wissen, was die „Wirklichkeit“ ist, sie mit dem vergleichen, was in der Meditation „entdeckt“ oder „gesehen“ wird und feststellen, dass es keinen Unterschied gibt.

Einen anderen unmittelbaren Zugang zur „Wirklichkeit“ als unser Gefühl, das solches behauptet, haben wir allerdings nicht. Es ist also prinzipiell unmöglich festzustellen, ob das Gefühl die „Wirklichkeit“ entdeckt oder gesehen zu haben, auf Realität basiert oder nicht.

Wenn in der Meditation die Empfindung aufsteigt, die „Wirklichkeit“ zu sehen, ist da allerdings diese Empfindung. Die eine Differenz mitteilt zwischen dem, was ich in der Meditation gerade erlebe und der Sichtweise der „Wirklichkeit“, die ich sonst habe.

So erfolgt eben doch eine Befreiung des Geistes. Aber nicht durch eine Rückführung zu irgendeinem „ursprünglichen Geist“, den wir nicht kennen können, oder einen Durchbruch in die „Wirklichkeit“, die prinzipiell unerkennbar ist. Sondern indem wir erkennen, dass verschiedene Weltsichten möglich sind. Und dass es schwer oder unmöglich ist, von der einen zu sagen, sie sei die „richtige“ und von den anderen, sie seien „falsch“ – eben weil uns der Vergleich mit der „Wirklichkeit“ fehlt. Das erleichtert uns den Versuch, nicht an der einen, alltäglichen Weltsicht zu haften. Unser Verständnis der Welt kann sich öffnen, kann weiter werden.

„Richtig“ oder „falsch“ hinsichtlich einer unerkennbaren „Wirklichkeit“, das lässt sich nicht entscheiden. Wohl aber: Gut oder schlecht für mein Leben.

 


Dienstag, 15. Juni 2021

Das Haiku-Jahrbuch 2020 ist erschienen. Es heißt „Nebelland“ und enthält einige Essays zum Haiku sowie eine große Sammlung von 647 Haiku von 123 Autoren. Zu lesen ist es auf der Übersichtsseite zum Projekt Haiku-Jahrbuch.

 


Samstag, 5. Juni 2021

Schon am 4. Juni 2021 erschienen, lese ich den Artikel erst heute: Chinas erste virtuelle Studentin hat sich in der Tsinghua-Universität in Beijing an der Fakultät für Informatik und Technologie eingeschrieben. Sie heißt Hua Zhibing, kann „Gedichte schreiben, Musik komponieren und Gemälde malen. Sie verfügt auch über die Fähigkeiten, Gedankengänge zu konstruieren und emotional zu interagieren“. Hinter dem schönen Gesicht arbeitet ein KI-Modell WuDao der zweiten Generation.

Wenn KI neben der Arbeit auch die schönen Künste übernehmen, in welche Richtung drängt das die Bedeutung der Kunst? Sie wird noch persönlicher werden, noch kommunikativer. Wir werden weniger den perfekten Vers, die perfekte Melodie oder Audio-Aufnahme schätzen wollen, sondern die Menschlichkeit, die sich gerade in der Unvollkommenheit ausdrückt – und die dann bald auch von KI simuliert, nein, sagen wir ehrlicher: erzeugt werden wird. Der Mensch wird immer mehr zurückgeworfen auf sich selbst. Wir werden den Vers nicht mehr des Verses wegen lesen, sondern wegen des Menschen, der ihn geschrieben hat. Und wir werden lernen, darin einen Gewinn zu sehen.

Interessant für uns menschliche Dichter wäre, wenn KI ein Taschengeld zur Verfügung gestellt würde, das sie für eigene Bedürfnisse ausgeben dürften. Zählten Musik und Dichtung zu diesen Bedürfnissen? Was für menschliche Musik und Dichtung würden KI kaufen?

Quelle: http://german.china.org.cn/txt/2021-06/03/content_77546337.htm

Nachtrag am Donnerstag, 8. Juli 2021: Ich denke wir können erwarten, dass eine virtuelle Studentin in Berlin keine Gedichte schreiben, keine Musik komponieren und keine Gemälde malen könnte. Aber sie könnte Abrechnungen erstellen, Denunziationen durchführen und einen durchaus genießbaren Kaffee kochen. Der asiatische und der westliche Ansatz ist ersichtlich ein anderer.

 


Samstag, 5. Juni 2021

Heckenrosen!
Ein Blütenblatt fällt
in das Kreidehaus.

Hinter den Scheiben flimmert jetzt womöglich das Sandmännchen.

Vor der heruntergekommenen Stadtvilla daneben stehen Altenbetreuung und Rettungswagen. Die Haustür ist einen Spalt weit offen.

Aus: Volker Friebel (2021): Siebzehn Hundertstel frei. Bunte Steine. Edition Blaue Felder, Tübingen. Mit 23 SW-Bildern. PapierBuch und eBuch.

 


Freitag, 4. Juni 2021

Ich ziehe einen Umschlag aus dem Briefkasten. Na sowas! Das Anschreiben informiert mich, dass ich den 3. Platz im Tanka-Wettbewerb der Deutschen Haiku-Gesellschaft gewonnen habe. Thema war „Supermarkt“. 63 Texte wurden eingereicht. Abgestimmt haben die Autoren (Kukai-Prinzip). Ich darf mir ein Tanka-Buch aussuchen. Und der Text?

In der Auslage
neben Kochgeschirr ein Buch
über Bärenjagd.
Seit der Kindheit hat meinen Hunger
nichts mehr gestillt.

Wieder einmal nehme ich mir vor, mir das nächste Mal mehr Mühe zu geben und den Text vor dem Versand ein paar Tage liegen zu lassen. Ich bin gespannt auf die anderen Texte.

 


Sonntag, 30. Mai 2021

Letzter Tag des Haiku-Seminars. Nach einer Runde über Wiesen und durch den Wald im Morgenlicht auf dem Wandbühl eine ausgiebige Besprechung von Notizen, mit Variationen und Beobachtungen wie schon kleine Veränderungen der Form auch den Inhalt verändern.

Dreieinigkeit –
die leeren Bänke
unter dem Kreuz.

Dreieinigkeit –
unter dem Kreuz
leere Bänke.

Das Seminar endete an der Rundbank hinter dem Kloster mit einem weiten Blick auf die Albkette.

Kloster Kirchberg, Nonnenfriedhof

 


Samstag, 29. Mai 2021

Haiku-Seminar. Nur unser erstes Treffen fand in unserem Seminarraum innerhalb der Klostermauern statt. Dann waren wir draußen. Aussichtspunkt Wandbühl. Spaziergang Fischweiher – Himmelsleiter –jüdischer Waldfriedhof. Und auf dem schönen Gelände des Klosters. Auch unsere Haiku-Notizen besprachen wir draußen, an den verschiedenen Raststellen.

Gemähte Wiese.
Die Grille zirpt immer noch.

Ein Vogel springt
aus dem Himmel ins Gras,
wippt.

Links markant in der Albkette der Hohenzollern, rechts am Ende der gemähten Wiese Kloster Kirchberg

 


Freitag, 28. Mai 2021

Zwei kleine Notizen aus der Fahrradfahrt von Tübingen über Haigerloch zum Kloster Kirchberg und dem dortigen Haiku-Seminar.

Unter der Birke sitz ich,
in der Wind all diese Blätter bewegt,
die die Luft bewegen und rauschen lassen,
was mich bewegt, was ich weitergebe
in dieses Gedicht.

Windgraues Haar.
Um die Waldfeuerstelle
Duft kalter Asche.

Die Texte hoffen auf gründliche Überarbeitung.

Haigerloch,  Flieder überwächst ein Versorgungsrohr

 


Mittwoch, 26. Mai 2021

Ich versuche neben der Steuererklärung, dem Haiku-Jahrbuch, Vorbereitungen für ein Haiku-Seminar und viel Musik alte Aufnahmen zu ordnen. Das hier ist Oktober letzten Jahres bei DistroKid erschienen, im Album Tanz der Masken 1, Oliver hab ich es genannt, eine Improvisation.

Oliver (Audio)

 


(Pfingst-) Sonntag, 23. Mai 2021

Blaues Auge der Göttin,
überfließend in dieses wilde,
wuchernde Grün.

Die Blau vor Ulm-Söflingen. Die Farbe kommt auf dem Foto leider nicht gut heraus.

 


Freitag, 21. Mai 2021

Demission

Sehr geehrte Damen, Herren und Diverse in Berlin und den anderen Zentren der Macht,

mit großem Interesse verfolge ich Ihre Diskussion, das Geschlecht als soziale Zuschreibung zu demaskieren, die auch geändert werden kann, wenn der doch eher zufällige Passeintrag dem Empfinden seines Trägers widerspricht. Denn diese Diskussion erlaubt mir vielleicht, mich mit meinem gleichfalls existenziellen Anliegen an Sie zu wenden. Kurz gesagt:

Ich bin ein Bär.

[…]

Ganzen Text lesen

 


Samstag, 15. Mai 2021

Das sieht gemütlich aus … Eine Wanderung von der Tübinger Nordstadt durch den Wald nach Unterjesingen, vor dem diese Weide liegt.

 


Sonntag, 9. Mai 2021

Katzen streunen durch den Hafen, schauen zu den chinesischen Fischernetzen und zu den kleinen Lokalen mit Fisch und Reis für die Arbeiter und die Touristen. Es ist schwül-heiß. Tief unter den Auto- und Motorradhupen klingt der Bass von den Dieselmotoren der Containerschiffe und Fähren. Menschen von überall sind hier, Europäer, Inder, Araber, Chinesen, sie schlendern, arbeiten, sitzen im Schatten, beobachten andere, Frauen mit schwarzen Umhängen, nur Schlitze für die Augen, nehmen etwas Reis vom Blechteller auf, mit einem Schuss Soße, essen. Die Kräne am Containerhafen sind riesig. Es gibt Eis für die jungen Damen. Postkarten. Sehnsüchte im Atem der Ferne, der hier irgendwie heimisch geworden zu sein scheint, wo Vasco da Gama vor Jahrhunderten landete und starb. Wir werden sein Grab besuchen. Das Grab wird leer sein. Kleine Fliegen tänzeln um mich herum. Wir haben die Fischer an den Chinesischen Netzen beobachtet. Wir haben uns selbst beobachtet, in einem Traum an einem der Enden der Welt, die schon immer ihr Zentrum waren.

Eine Notiz vom Do. 12.01.2017 aus Kochi (Indien), am Hafen auf den Stufen sitzend

 


Mittwoch, 28. April 2021

Hinter dem ersten Grün der Bäume die Donau bei Beuron. Fast jeden Tag einen größeren Ausflug, das heißt wohl: Der Frühling ist da!

 


Montag, 26. April 2021

Eine Fahrradrunde von Tübingen über Bebenhausen und den Schönbuch nach Herrenberg, dort Rast am merkwürdig stillen Marktplatz. Ein Auto mit Frankfurter Kennzeichen taucht auf, jemand steigt aus, fotografiert ein geschlossenes Eislokal, steigt wieder ein, fährt weiter. Das sind die wirtschaftlichen Auswirkungen des SARS-Cov-2-Virus. Wir radeln zunächst über das Ammertal zurück, in Altingen dann ein Schwenk Richtung Schönbuchtrauf nach Entringen, um zwei schlechte Ortsdurchfahrten zu umgehen. In einem Feld hinter Entringen entdecke ich, abgestiegen, zufällig eine Anzahl leerer Schneckenhäuser. Ich assoziiere einen Elefantenfriedhof. Elisabeth meint, das seien vielleicht Kinder gewesen, die die Häuser am nahen Bahndamm gesammelt und hier abgelegt haben.

 


Sonntag, 25. April 2021

Eine Rundwanderung mit Elisabeth von Gönningen zu den Seen (wir treffen auf viele Leute und ein Entenpaar mit sechs Küken), die Seen hinauf bis nach Genkingen auf die Alb, von dort dann über den Rinderberg auf die Hochfläche vor dem Rossberg. Eine lange Rast im Gras an den Kiefern. Das sind alte Wege, lange nicht mehr begangen. An den Kiefern hab ich das erste Mal mit Regine improvisiert, ich einen Klangteppich auf der Klassikgitarre, sie darüber die Querflöte. Diese ersten Sachen sind nicht erhalten. Von späteren Improvisationen gibt es einige unveröffentlichte Alben und ein Video auf YouTube (mit Bildern vom Rossbergturm): https://www.youtube.com/watch?v=BVFjmND9raI

 


Samstag, 24. April 2021

Eine Wanderung am Bodensee, von Moos bei Radolfzell über das Kirchlein auf der Anhöhe von Horn nach Gaienhofen, wo wir vor einigen Jahren eine Ferienwohnung hatten, gleich neben dem Wohnhaus von Hesse. Viel Leute waren unterwegs. Am schönsten doch der Gang abseits des regulären Wander- und Radwegs den Hang hinauf, ins Offene, auf der Suche nach dem Kirchlein mit dem fantastischen Ausblick. Das Foto aber ist von unten, vom Seeweg.

 


Freitag, 23. April 2021

Eine Woche zuvor waren wir gar nicht erst auf das Kirschenfeld bei Nehren geradelt, sondern hatten, über den Rammert ins Steinlachtal hinuntergerollt, den direkten Weg nach Tübingen zurück gewählt – mangels Blüten. Jetzt gibt es zwar welche, aber manche davon sind schon braun (Frostschäden?), viele, glücklicherweise, brechen gerade erst auf. Die Jahre zuvor aßen wir unter den Blütenbäumen Rhabarberkuchen. Auch das geht dieses Jahr nicht. Merkwürdig wenige Bienen summen.

 


Dienstag, 20. April 2021

Zum Projekt Tausend Lieder hab ich gestern das erste Album beendet. In etwa zwei bis drei Wochen sollte es in den Läden im Netz erhältlich sein, nur elektronisch (Herunterladen oder Streamen). Es sind zehn Lieder unter dem Album-Titel Lass an den Quellen uns sein. Hier geht es zum Hintergrund des Projekts, hier zu der Seite des Albums mit Infos und allen Texten. Und hier ist das erste Lied zu hören: Ich werde.

 


Sonntag, 18. April 2021

„Immer, wenn man die Meinung der Mehrheit teilt, ist es Zeit, sich zu besinnen.“ (Mark Twain)

Besinnen, nur besinnen! Denn zu aller Überraschung, selbst ihrer eigenen, könnte die Meinung der Mehrheit gelegentlich richtig sein.

Ein Eintrag vom Montag, 9. November 2015

 


Donnerstag, 15. April 2021

Ringsum Stille. Nur das Klacken der Tastatur. Wir haben einen weiten Weg zurückgelegt von der Bärenjagd bis zur Einsamkeit versiegelten Türen, bis zum Virus und den kommerziellen Ausmalungen im Video, was alles noch sein könnte. Lausch der Lüftung des Rechners! Riech den Duft der Blumen am Fenster! Es ist Frühling, sein Wind weht über alle Barrikaden der Menschen hinweg.

 


Sonntag, 11. April 2021

Dass sich alles in Zahlen ausdrücken lässt, ist ein verbreiteter Unsinn. Natürlich lässt sich das. Alles lässt sich auch in Düften ausdrücken. Oder in Abstufungen von Grün. Eine 1 wäre etwa Holunderduft, eine 2 Erdbeergeruch, und zusammen gäbe das eine 3, das ist Petersilie.

Das geht. Der Irrtum fängt erst dann an, wenn man mit den Gesetzen der Sprache zu hantieren beginnt, in die man etwas übertragen hat. Wenn man mathematische Gesetze verwendet, um eine Kodierung von Gerüchen zu erarbeiten. Die Ergebnisse sind Ergebnisse der Mathematik, nicht der Rosen.

Nach einer Notiz aus dem Juni 2010

 


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