Volker Friebel (2023): Wale. Lieder. Label: Edition Blaue Felder (LC 99060), Distributor: MusicHub. EAN: 4064946285590. Laufzeit: 42:16 Minuten.
1 Hörst du ihn schreien 3:24
2 Im Auge des Wals 3:09
3 Nebeneinander (zwei Wale) 3:26
4 Die Barken 4:28
5 Wale rufen 5:27
6 Tafel am Meer 4:22
7 Wie eine Feder fällt 5:51
8 Die Unruh 2:49
9 Welle um Welle 3:59
10 Engel sterben 5:21
Erstveröffentlichung: Mo. 05.02.2024
Playlist auf YouTube: https://youtube.com/playlist?list=OLAK5uy_mvFYM3J81RbNn8kap6ajHntfTPl-Q_f0U&si=f_BoQm18fXR_XQHR
Text und Musik aller Lieder: Volker Friebel
Es ist das elfte Album des Projekts Tausend Lieder
Das Album ist wie meine anderen Alben vollständig auch auf meinem Audio-Kanal bei YouTube hörbar:
https://www.youtube.com/channel/UCa9r52JGr9BVzUg6PTWFFAg/playlists
Hörst du ihn schreien
Wer ist müde geworden
vom Glück? Die Lerche nicht, sie singt
von der Sonne.
Wer hört das Läuten der Glocken
nicht mehr? Auf überladenen Tischen
das Essen schmeckt immer noch.
Die Ziffern auf den Schiefertafeln der Mühlen
wachsen wieder, im weiteren Jahr.
Wenn auch der Krieg näher rückt.
Wenn auch die Augen der Opfer
groß sind und blau und gerichtet auf
die starren Zeiger der Sonnenuhr.
Wenn auch das Pendel der Wahrheit
weiter und weiter ausschwingt.
Wenn auch die Sicherheit wie Sand
unter den Füßen Welle um Welle
fortspült ins Meer.
Wenn auch das Brausen des Windes
alles Lachen und alle gekaufte Musik
übertönt.
Hörst du den Wind?
Hörst du ihn schreien?
Do. 22.06.2023, Bank am Ziegelweiher, Schönbuch; Überarbeitung und Aufnahme: Mo. 25.12.2023
Im Auge des Wals
Der Wal öffnet ein Auge
und blickt über das Meer,
über die Spitzen von weißem Schaum.
Er sieht eine Sonne langsam aufgehen
über der Wüste des Wassers.
Wo nur die anderen sind.
Wir haben den Krieg verloren
und treiben nun durch die Unendlichkeit.
Wir sehen uns an.
Es ist das Auge der Liebe.
Mi. 15.11.2023, bei Württingen, Allee zwischen Gestütshof und Fohlenhof / bei Bad Urach, Maisental
Nebeneinander (zwei Wale)
Mein Herz und das Herz dieses Wals –
sie läuten den Jubel ein, den wir sind.
Hörst du die Glocken über dem Wasser?
Hörst du das Lied?
Fällt Schnee? Fallen Sterne?
Fällt noch mehr Laub in die Mühlen der Zeit?
Hörst du den Vogel aus dem Himmel?
Hörst du den Tod?
Mein Herz und das Herz dieses Wals –
das Blut verbindet sie, wenn es strömt.
Mitten im Fall des Himmels die Stille,
mitten im Tanz.
Mein Herz und das Herz dieses Wals –
Funken sprühen sie in die Welt.
Ich hab sie gesehen, schwimmen im Meer,
nebeneinander.
Mo. 20.11.2023, Fels am Wegrand, Sandwald bei Tübingen; vierte Strophe beim Vertonen noch mittags daheim
Die Barken
Als aus dem Himmel die Barken schweben,
finden sie Meere, Sardinenschwärme,
Wale, Korallenriffe und Brandung ringsum …
finden sie Wälder und Moore, Savannen,
Wüsten aus Skorpionen und Glut …
finden sie ruhende Löwen und Lämmer
und Rehe, eines sieht sie groß an …
finden sie Quellen und fließende Wasser,
in jedem Tropfen die eigene Welt …
finden sie Bienenstöcke und Astern
und Vogelnester im Dornengebüsch …
finden sie Elche und einen Bären am Bach,
der vom köstlichen Wasser schlürft …
finden sie auf der Waldeslichtung
kämpfende Hirsche, verhakt im Geweih …
Doch wo sind die Wesen, deren Signal
sie empfingen? Wo sind ihre Sendeanlagen
und Städte und Monumente, ihre Bibliotheken?
Nur etwas erhöhte Radioaktivität,
gut tolerierbar. Nur ein paar seltsame
chemische Elemente. Nur versteinerte
Ammoniten auf Bergeshöhen,
hoch überm Meer …
Di. 12.12.2023, Görlitz, Ferienwohnung; Überarbeitung und Aufnahme: Do. 21.12.2023; Textüberarbeitung und Neuaufnahme: Do. 04.01.2024
Wale rufen
Wale ziehen singend von Meer zu Meer.
Horchstationen fangen die Schallwellen auf.
Algorithmen, Entschlüsselungstabellen.
Die Wale singen von Freude.
Lichtnelken sind erblüht
in der Einsamkeit. Bienen. Seen,
von Bergen beschirmt. Ein Bär schaut auf,
in all diese Schönheit – finster.
Hinter den Bergen liegt vielleicht schon
das Meer. Wir steigen zu zweit in den Fels.
Hörst du den blasenden Wal?
Dohlen steigen hoch in den Wind.
Verse schreib ich und lade sie hoch
in die Leere. Ein Sänger im weiten Raum
unter Sternen. Die schwarzen und weißen
Tasten eines Klaviers.
Mi. 20.07.2022, Schönbuch bei Tübingen-Bebenhausen, Bank am Schwefelbrünnele; Überarbeitung Do. 27.07.2023; zuletzt Mi. 20.12.2023 weitere sehr starke Überarbeitungen
Tafel am Meer
Eine lange Tafel am Meer,
mit weißen Tüchern und Kerzen.
Wir sitzen und essen und trinken vom Wein
in der Nacht –
während weit draußen Fischer rufen,
zum Ziehen der Netze, und nochmal,
wenn sich ein Schwarm Sardinen
über das Deck ergießt, silbern im Mondlicht,
während noch weiter draußen
ein Wal bläst und dann dem Gesang
eines anderen lauscht, noch viel weiter,
dort, wo unsere Träume den Horizont
in grüne Kontinente verwandeln,
für einen neuen Beginn –
während das alte Feuer noch Stahl kocht
und das Schwert, geschmiedet, gekühlt,
vom Meister mit Wasser aus dem Quell genetzt,
sich gegen den Himmel reckt,
und der Pflug die Erde aufreißt
und vielleicht schon ihr Herz berührt,
während das Rad weiter und weiter sich dreht
und der Staub alle Wege mit Flüstern erfüllt –
während wir lachen und weinen
und einander Geschichten erzählen,
aus unserem Leben im Himmel.
Eine lange Tafel am Meer,
mit weißen Tüchern und Kerzen.
Wir sitzen und essen und trinken vom Wein
in der Nacht.
Di. 26.12.2023, Tübingen; gleich darauf Klavierbegleitung und Aufnahme des Gesangs; Überarbeitung und Neuaufnahme des Gesangs: Mi. 10.01.2024
Wie eine Feder fällt
Wie eine Feder fällt,
durch den Himmel.
Vorbei an Wolkenkathedralen
durch den Himmel.
Vorbei an goldbeladenen Schiffen
durch den Himmel.
Vorbei am Sturm der Lanzenreiter
durch den Himmel.
Vorbei am Wasserfall aus Tränen
durch den Himmel.
Vorbei am Joch des Wasserbüffels
durch den Himmel.
Vorbei am Feld der glühenden Kohle
durch den Himmel.
Vorbei am weichen Bett der Liebe
durch den Himmel.
Vorbei an langen Feiertafeln
durch den Himmel.
Der Zweizeiler: Sa. 23.12.2023, Tübingen, Fußweg Denzenbergstraße – Hauptbahnhof; der Rest: Mi. 27.12.2023
Die Unruh
Die Unruh ist das an der Uhr,
was sie am Laufen hält.
Auch der See ist nicht still,
auch mein Herz nicht,
das sich doch sehnt, so still
wie ein See zu sein,
das doch hofft, seine Seele
wäre so still
wie all die unruhigen Rädchen
in dieser Uhr,
wie die Einzelteile
auch seiner Unruh.
Fr. 13.10.2023, bei Sils Maria, Weg Silvaplanersee zur Residenza Lagrev; Überarbeitung und Aufnahme (nach vorgegebenem Klavier-Stück): Mi. 01.11.2023
Welle um Welle
Sandkorn an Sandkorn
am Meer, sie flüstern:
„Wasser ist härter als Stein.“
Es kann selbst härter als die Mauern
der Herzen von Menschen sein.
Hamster an Hamster
auf Liegen, sie flüstern:
„Arbeit geben wir dir.“
Sie plündern die Welt, verwandeln in Müll sie
und verstreuen ihn hier.
Tropfen an Tropfen
im Meer, sie flüstern:
„Gib dem Einen dich hin.
Niemand kann mich jemals mehr fassen,
wenn ich das Eine bin.“
Lichtstrahl an Lichtstrahl
vom Himmel, sie flüstern:
„Werden will ich zu Gras,
zum Blatt am Busch mit den wilden Rosen,
zum Grün am zerbrochenen Glas.“
Welle um Welle
stürmt an die Mauern des Herzens
und bricht.
„Einmal will den Himmel ich sehen
und das gläserne Licht.“
Fr. 21.10.2022, Kos, Tigaki, Strand unter den Bäumen; starke Erweiterung: Sa. 18.02.2023, Tübingen, anschließend Aufnahme; Überarbeitung und Gesangsneuaufnahme: Di. 19.12.2023
Engel sterben
Engel sterben,
siehst du sie liegen
im leblosen Schnee?
Während die Gerüste der Menschen
immer weiter hinein
in den Himmel wachsen.
Während in der Stille unterm Eis
des Waldsees Karpfen schweben.
Während ein Reh zwischen Fichten
sich hinlegt, die Augen schließt,
dicht an die Erde sich drückt
und die Treiber vorbeilässt.
Engel sterben,
siehst du sie liegen
im erwachenden Schnee?
Während die schwellenden Knospen
ihre Lider immer noch schließen
und die Kraft der Erde sammeln in sich.
Während das Schweigen zwischen
den Menschen immer noch wächst.
Während Blitze zucken, aus Wolken hinab
in die demütigen Bäume
und in die Türme der Stadt.
Engel setzen sich auf,
hörst du sie murmeln
mit dem lebendigen Schnee?
Während die Sonne blutrot aufsteigt
und Bienen im verschneiten Stock
sich zu regen beginnen.
Während in der Hecke Spatzen zwitschern
und schnell mit kleinen Flügeln schlagen.
Während der alte Kantor
durch den Garten zum Briefkasten geht,
all die süße Musik von Himmel
und Erde in sich.
Mo. 04.12.2023, Tübingen, Denzenbergviertel, Weg und Rückweg von Lustnau; deutliche Erweiterung und Überarbeitung: Mi. 06.12.2023, Zugfahrt Tübingen – Erfurt, vor Osterburken; Überarbeitung und Aufnahme: Sa. 16.12.2023; weitere starke Überarbeitung und Aufnahme des Gesangs: So. 07.01.2024
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