Fischernetze

Volker Friebel (2023): Fischernetze. Lieder. Label: Edition Blaue Felder (LC 99060), Distributor: MusicHub. EAN: 4064946267800. Laufzeit: 39:37 Minuten.

1 Stunde der Wahrheit 4:07
2 Durch den Regenbogen 5:31
3 Alles im Fluss 2:57
4 Im Raureif 4:05
5 Ferne Sterne 4:06
6 Tiefe Nacht 3:08
7 Wal unterm Mond 3:10
8 Zauberworte 4:35
9 Alle Narben 4:55
10 Federn verschenkt 3:03

Erstveröffentlichung: So. 17.12.2023
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Stunde der Wahrheit

Ein Reh äst im fahl gewordenen Gras,
die Tage werden kürzer.
Die Sonnenuhr zeigt Stunde um Stunde
die Zeit des Mondes an,
die Zeit der Sterne.

Die Menschen haben sich verpuppt,
in silbernen Netzen,
da schlafen sie nun und träumen
und flüstern mitunter
vom Wahren, das kommt.

Halte die Liebe geborgen in dir.
Halte das Licht in deinen Augen
noch eine Zeit wach. Jetzt ist die Stunde
der Wahrheit, jetzt, in den Weiten
der Wüste, die wächst.

Halte die Erinnerung wach.
Halte den Raum in dir weit.
Wenn jedes Bild das vorherige löscht,
verwehen die Fäden der Liebe,
verwehen im Wind.

Lies die Zeit des Mondes
an der Sonnenuhr ab,
mit geschlossenen Augen.
Wir begegnen uns auch in der Nacht,
in der Stunde der Wahrheit.

Di. 17.10.2023, Schönbuch bei Tübingen-Bebenhausen, Bank am Brühlweiher

Durch den Regenbogen

Das Wasser des Brunnens
fließt über, ins Brennnesselfeld.
Jemand starb.
Aus einem Kokon schlüpft ein Schmetterling.
Die Amsel frisst ihn im Flug,
lässt sich nieder auf einem Giebel
und beginnt ein funkelndes Lied.
Lass uns der Amsel lauschen.
Lass nach dem Gewitter
durch den Regenbogen uns fliegen
und frei sein.
Spinnenweben halten uns fest,
soziale Netze, sogar der Schwerkraft
fällt nichts anderes ein,
als uns zu Boden zu ziehen.
Gänseblümchen ertrinken
im aufschießenden Gras.
Im Herzen der Erde sammelt sich Gold.
Doch unsere Herzen sind ausgesetzt
auf steinigen Äckern. Wahnsinn treibt
unsere Gespanne voran.
Lass uns der Amsel lauschen.
Lass nach dem Gewitter
durch den Regenbogen uns fliegen
und frei sein.

Mi. 27.09.2023, Schönbuch bei Tübingen-Bebenhausen, Bank Nähe Schwefelbrünnele

Alles im Fluss

Alles im Fluss.
Nichts werde fest, es wäre
Ziel für die Wächter, die Netze
fischten es ab.

Alles im Fluss.
Die Töne des Lieds
folgen einander, löschen einander
schnell aus. Von den Versen
hör keinen je wieder, die Worte lösen
im Strömen sich auf.
Nichts werde fest, es wäre
Ziel für die Wächter, die Netze
fischten es ab.

Alles im Fluss.
Selbst die Sterne drehen
ewig sich weiter.
Nichts stehe still.
Es könnte erinnern daran,
dass ich lebe, die Augen könnten
sich öffen, die Hände bewegen.
Nichts werde fest, es wäre
Ziel für die Wächter, die Netze
fischten es ab.
Alles im Fluss.

Sa. 30.07.2022, bei Ottobeuren, Bannwald-Runde

Im Raureif

Ein Lied des Eichenwalds

Hast du meine Blätter gesehen?
Knie dich hin und greif in den Schnee,
zieh eins heraus, halt es ans Licht –
durch kahles Geäst fällt ein Strahl
in deine offene Hand.

Im Raureif hörst du den Atem
tiefer als jemals im Traumpalast.
Aus deinen Augen bröckeln Werbefilme,
Bild um Bild
fällt am Leben vorbei.

Immer sind wir einfach gestanden um dich,
und du gingst umher.
Unter Tauben sangst du,
du griffst in die fallenden Blätter
und hieltst eines auf.

Dieser Ort in der Mitte der Welt
ist mein Leben. Holzknechte kommen und gehen,
Wind geht, und manchmal fällt Schnee.
Weißt du denn, was dein Leben ist,
dass du suchst und immer noch suchst?

Was hast du von deinem Leben gewollt?
Was hast du getan, Schritt um Schritt,
Handwerk um Handwerk?
Nun kniest du, nun hältst du die leere Hand
in das Licht.

Mo. 27.12.2004, Tübingen, daheim

Ferne Sterne

Aufgewacht bin ich wieder
am Rand der Unendlichkeit.
Im schwarzen Baum schlafen Vögel.
Eine Katze liegt auf der Mauer
und gähnt. Der Neumond zieht
seine Bahn im Schrei der Stille.
Durch meinen Atem
fällt silbernes Licht.

Erst in der tiefsten Nacht
entdeck ich den Stern.
Was er mir sagen kann,
weiß ich noch nicht, doch ich spür,
er ist groß und ist einsam.
Spiegel erhellen die Welt,
ich such meinen Spiegel mir aus.
Ferne Sterne.

Ich ging so lang durch das Land,
die Menschen verstehe ich nicht.
Schwach sind die Augen des Bären,
groß ist sein Herz, das vor bunten Fassaden
niemand sieht.
Spiegel erhellen die Welt,
ich such meinen Spiegel mir aus.
Ferne Sterne.

Liebste, schließ die Augen,
der Mond sendet sein Licht,
überschwemmt die Träume der Menschen.
Ein Lasterfahrer flucht,
steckengeblieben im Schlamm.
Spiegel erhellen die Welt,
wir suchen den Spiegel uns aus.
Ferne Sterne.

Fr. 12.03.2021, Tübingen, daheim; nach Piano-Akkordfolge Überarbeitung von Strophe 1 und 2 sowie zwei weitere Strophen (3 und 4) neu geschrieben: Mo. 30.10.2023

Tiefe Nacht

Tiefe Nacht – wenn du noch sehen kannst,
schau wie hier die Kerzenflamme tanzt.
Klein das Licht und doch so schön kaum je.
Seh es auch in deinem Augensee.

Tiefe Nacht – die Welt wird groß und still.
Was noch wacht, das redet nicht mehr viel.
Doch es spürt, was sonst im Lärm sich birgt.
Was der Mond mit seinen Fäden wirkt.

Tiefe Nacht – der Horizont so nah,
Schattenwelt, und nur ein Traum ist da.
Lass nicht zu, dass Sonne ihn zerstört,
weil er dir und mir und uns gehört.

Tiefe Nacht – die Sonne bricht bald ein.
Gib dann acht, mein Herz, werd nicht zu Stein.
Tief in dir sei immer Traum und Mond,
weil nur dann das Leben in dir wohnt.

Mo. 11.09.2023, Tübingen, daheim

Wal unterm Mond

Unter dem Mond bläst ein Wal
und lauscht dann fernen Gesängen,
hinter dem Lärm der Schiffsmotoren.

„Wir sind allein in der Welt
der Getriebe, der Räder und Ketten,
des Auspuffgeknatters.
Und tauchen wir, sind in der Tiefe
Amphoren und Kisten versunkener Schiffe.
Der Mond und die Sterne ziehen noch immer
ihre Bahn in der Nacht,
doch die Lichter sind mehr geworden.
Und unsere Lieder verschwinden hinter
dem Gekreisch von Metall.“

Unter dem Mond schließt ein Wal seine Augen,
er träumt, und im Traum, entschlüsselt er
Chiffren von Schiffsmotoren.

So. 24.09.2023, Schönbuch, Bank am Ochsenweiher; die ersten drei Zeilen stammen vom Do. 16.03.2023, Tübingen-Sand, Waldrandweg

Zauberworte

Ein Segelboot,
eingewintert, im Herbst,
nach Sonnenuntergang.
Bergspitzen glühen.
Mein Herz durchweht
ein altes Lied.
Fische am Grunde des Sees.
Zapfen in den Wipfeln
goldener Lärchen.
Die Sonnenuhr zeigt tagaus und tagein
den Schatten des Menschen.
Nur Zauberworte retten die Zeit,
Worte der Liebe.
Wir halten einander,
feste Anker
im Morast der Welt.
Und wir singen.

Mi. 11.10.2023, bei Sils Maria, Chastè; der Text ab „Nur Zauberworte“ am Di. 17.10.2023, Tübingen, daheim

Alle Narben

Aus dem Grau fällt Schnee,
deckt die müde Erde,
Weiß, wohin ich seh,
ohne eine Fährte.
Liebste, sprich kein Wort,
denn erst tief im Schweigen
wird die Sonne dort
einmal sich uns zeigen.

Knospen, gut versteckt,
träumen noch im Frieden.
Nur nicht aufgeweckt,
hast doch nichts zu bieten.
Aber bald schon wird
uns die Sonne wärmen,
und die Taube girrt
und die Bienen schwärmen.

Einmal wird das Weiß
schmelzen, bis uns Farben
blühen aus dem Eis,
heilen alle Narben.
Liebste, lass uns Licht
sein jetzt für den andern,
bis die Sonne spricht
und die Wolken wandern.

Mi. 18.01.2023, Tübingen, daheim

Federn verschenkt

Sie hat Federn verschenkt
und Seifenblasen,
dann flog sie zurück in den Himmel.

Wir Kinder bewundern die Farben
der kleinen Kugeln noch immer.
Wie sie schillern, wie sie platzen –
aber neue entstehen sofort.

Sie sprach von Liebe,
nie von dem, was wir sahen,
von Fischernetzen, von Hass.
Mag sein, dass sie sang.

Ich erinnere mich
nicht an ihr Wort, doch an ihr Gefühl.
Es schwingt noch immer in mir,
durch Licht, durch Dunkel.

Sie hat mit den Tauben gegurrt.
Jeder Herzschlag verbindet uns, jetzt
und schon immer. Unsere Herzen pochen
allein.

Sie hat Federn verschenkt
und Seifenblasen,
dann flog sie zurück in den Himmel.

Mo. 20.11.2023, Tübingen, daheim; inspiriert durch „Little wing“ von Neil Young

 

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